Patrick Melrose (O, 2018)

Das Telefon klingelt. Langsam greift eine Hand nach dem Hörer. Eine undeutliche Stimme ist zu hören. Die Leitung ist schlecht. Der Vater sei gestorben. Der Angerufene spricht einige Worte, legt auf und taumelt neben dem Telefon herum. Anschließend grinst er. Kein glückliches Grinsen, sondern ein erschöpftes, gequältes Grinsen. So beginnt die erste Folge der fünfteiligen Mini-Serie PATRICK MELROSE, die auf der Bestseller-Reihe von Edward St. Aubyn basiert. Patrick Melrose (Benedict Cumberbatch) versucht seine furchtbare Kindheit zu vergessen. Der Vater (Hugo Weaving) misshandelte ihn als Kind und die Mutter (Jennifer Jason Leigh) nahm das Verhalten ihres Mannes stillschweigend zur Kenntnis. Nach dem Tod des Vaters beschließt Patrick den Drogenkonsum aufzugeben, doch die Erinnerungen an seinen Vater machen das unmöglich. Patrick nimmt wieder Heroin und andere Drogen und die Tour de Force endet in einem verunglückten Suizidversuch. Zusammen mit seinem Freund Johnny (Prasanna Puwanarajah) will er endlich clean zu werden.

Szenenbild aus PATRICK MELROSE - Johnny (Prasanna Puwanarajah) und Patrick (Benedict Cumberbatch) - © Sky
Johnny (Prasanna Puwanarajah) und Patrick (Benedict Cumberbatch) – © Sky

Den Zuschauer fordern

Jede Folge zeigt ein paar Tage aus dem Leben von Patrick Melrose. Diese Beschränkung auf ein paar ausgewählte Tage eines Jahres sorgt dafür, dass nie das ganze Bild zu sehen ist, immer nur Fragmente. Der Zuschauer füllt die entstandenen Lücken und das gefiel mir außerordentlich gut, weil die Geschichte zum Nachdenken anregt. Man muss den Zuschauer so ernst nehmen, wie man selbst ernst genommen werden will, → hat der Herr Haneke mal gesagt. Nachdem die Serie das Thema Kindesmisshandlung und die langjährigen Folgen behandelt, ist hier auch ein gewisser Ernst zwingend. PATRICK MELROSE eignet sich nicht zum Nebenher-Schauen. Und doch gibt es diese leichten Momente. Die Lacher, die besonders in der ersten Folge gehäuft auftauchen, machen schnell klar: Das Leben ist nicht schwarz oder weiß. Es ist grau und auch irgendwie bunt. Die Geschichte bezieht sich auch immer wieder aufeinander. Es gibt Zeitsprünge innerhalb der Episoden, die immer woanders spielen: im Südfrankreich der 60er Jahre, in New York City der 80er zu den frühen 2000ern in Großbritannien.

Szenenbild aus PATRICK MELROSE - Patrick (Benedict Cumberbatch) begießt sich im Delirium mit Alkohol - © Sky
Patrick (Benedict Cumberbatch) im Delirium – © Sky

Der fabelhafte Mr. Cumberbatch und seine Freunde

Es ist inzwischen kein Zufall mehr, dass es Benedict Cumberbatch alle paar Jahre schafft, sich selbst zu übertrumpfen. Es ist inzwischen die Regel. Patrick Melrose ist wieder eine dieser Rollen, die einen neuen Standard setzen. Geholfen hat sicherlich auch, dass Cumberbatch mit Kumpel Adam Ackland und der gemeinsamen Produktionsfirma SunnyMarch als Executive Producer an der Produktion beteiligt waren. Edward Berger übernahm die Regie. Verdientermaßen gingen zwei der insgesamt fünf Emmy-Nominierungen für diesen Film an Cumberbatch und Berger. Regie und Schauspiel sind wirklich überragend. Es ist mir allerdings unerklärlich, wie man Jennifer Jason Leigh und Hugo Weaving bei den Nominierungen übergehen konnte, denn die Brüchigkeit ihrer Figuren, deren Ehe sowie das schwierige Verhältnis zu ihrem Sohn verkörpern beide wahnsinnig gut. Der Cast ist wirklich unfassbar gut. Kein Wunder, denn das Casting hat wieder einmal die großartige Nina Gold durchgeführt, die ihrem Nachnamen alle Ehre macht.

Szenenbild aus PATRICK MELROSE - Patrick (Benedict Cumberbatch) wird auch in seiner Ehe mit Mary (Anna Madeley) von seiner Vergangenheit verfolgt. - © Sky
Patrick (Benedict Cumberbatch) wird auch in seiner Ehe mit Mary (Anna Madeley) immer noch von seiner Vergangenheit verfolgt. – © Sky

Dissonanz zwischen Kindern und Erwachsenen

Jede Folge hat ihren ganz eigenen Ton: während die erste Folge extrem unterhaltsam und mit schwarzem Humor durchzogen ist, ist die zweite Folge ein echter Schlag in die Magengrube. Spätestens ab der dritten Folge “Some Hope” merkt man, was der rote Faden der Serie ist: ein gestörtes Verhältnis zwischen der erwachsenen Elite und deren Kindern. Die Kinder in der Welt von Patrick Melrose werden ins Bett geschickt, ihre Sorgen ignoriert und sind häufig “halt auch da”. Kinder sind eine Sache des Prestiges. Besonders deutlich zeigt sich das in der “Some Hope”-Folge, als die Tochter der Gastgeberin bei einer Party, bei der Prinzessin Margaret eingeladen ist, die Prinzessin sehen möchte. Margaret verhält sich dem Kind gegenüber extrem unhöflich und ablehnend. Das Kind solle ins Bett. Aufgrund der fragmentarischen Erzählweise erkennt man die Muster, die Wiederholungen in der Biografie von Patrick Melrose und seinesgleichen, umso deutlicher. Besonders heftig fand ich auch die Aussage von Patricks Paten, Nicholas Pratt: „Nothing that happens to you as a child really matters“. PATRICK MELROSE beweist in welchen Momenten wie zynisch und falsch diese Annahme ist.

5.5/6 bzw. 9/10

PATRICK MELROSE läuft seit Mai 2018 → auf Sky.  Am Sonntag, den 16.09.2018 gibt es auf Sky Atlantic ab 18:05 Uhr alle fünf Folgen hintereinander zu sehen. 

Trailer: © Sky Atlantic

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