Wenn ich an COST OF LIVING denke, fehlen mir immer noch ein bißchen die Worte. Und diese breite Grinsen von Adrian Lester am Bühneneingang, als er die Programme signiert hat, habe ich auch nicht vergessen. Adrian, den ich von der BBC-Gauner-Serie HUSTLE und von der NT-Live-Übertragung zu OTHELLO kenne, war für mich auch der Hauptgrund das Ticket zu kaufen. Doch Lester ist nicht der Einzige, der ordentlich abliefert. Auch die anderen drei Darsteller sind das Eintrittsgeld wert. In COST OF LIVING geht es um vier Menschen. Der reiche, aber aufgrund einer Lähmung gehandicapte John (Jack Hunter) braucht Unterstützung. Bei ihm bewirbt sich die junge Jess (Emily Barber), die zwar keine Erfahrung im Umgang mit Behinderten hat, aber dringend einen Job braucht. Parallel dazu wird die Geschichte von Ani (Katy Sullivan) und Eddie (Adrian Lester) erzählt. Obwohl sie schon längst geschieden sind, taucht Eddie immer wieder bei seiner Ex-Frau auf und möchte ihr helfen. Ani ist querschnittsgelähmt und hat durch einen Unfall ihre beiden Unterschenkel verloren.
Gelebte Inklusion
Ich liebe dieses Stück, einfach schon aufgrund des Mutes, den die Schauspieler aufbringen. So gibt es zum Beispiel eine Duschszene, in der Jack Hunter komplett nackt auf der Bühne sitzt und sich duschen lässt. Mich begeistert dabei weniger die „nackte Haut“, sondern weil man auch mal in einem Theaterstück in aller Ausführlichkeit sieht, wie das Duschen und Anziehen hinterher vonstatten geht. Sowas sieht man ja auch nicht so oft. Das Stück kommt mit einer gewissen Leichtigkeit daher. Das liegt vielleicht auch ein bißchen daran, dass die Figuren alle Fehler haben. Auch wenn Jack und Ani hilfsbedürftig sind, hält sie das nicht davon ab, auch mal einen bösen Spruch loszulassen und ihr Gegenüber zu beleidigen. Auch wenn die beiden Rollstühle sehr präsent im Stück eingebunden sind, fallen sie nach einer Weile gar nicht mehr auf. Sie sind Mittel zum Zweck. Dennoch gibt es einen Schockmoment, den ich hier nicht unerwähnt lassen darf. An einer Stelle badet Eddie seine Ex-Frau und geht kurz weg. Katy Sullivan’s Ani geht daraufhin in der Badewanne unter und es passiert echt sekundenlang nichts. Man hofft, dass ihr jemand hilft. Ich hatte echt wahnsinnige Angst um Katy Sullivan. Ich war innerlich schon kurz davor aufzuspringen und auf die Bühne zu laufen um sie zu retten. Dieser Schockmoment hat sich echt enorm in mein Gedächtnis gebrannt. Sorgen muss man sich um die Frau aber eigentlich nicht machen. Sie spielt diese Rolle schon seit 2016, sie hat die Rolle sogar mitentwickelt und hat als Läuferin für die USA an den Paralympischen Spielen teilgenommen. Katy Sullivan ist für mich eine wahre Entdeckung.
Niemand ist perfekt
Das inzwischen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Theaterstück von Martyna Majok ist tatsächlich einzigartig. Die beiden Geschichten, die erst am Ende des Stücks zart verbunden werden, sind beide spannend und dadurch wird es auch nie langweilig. Die Figuren sind alle nicht perfekt und gerade deshalb sind sie’s. Die Interaktion zwischen behinderten und nicht-behinderten Schauspielern gelingt gut und – wie ich vorher schon erwähnt habe – fallen die Unterschiede kaum mehr auf, weil man sich als Zuschauer mehr auf die Charaktere und ihre Wesensmerkmale wie etwa ihren Humor oder ihre „wunden Punkte“ konzentriert. Für dieses vergleichsweise kleine Theater wurde ein relativ aufwendiges Bühnenbild aufgefahren. Die Szenenwechsel sind erstaunlich schnell, da die nötigen Requisiten von den Seiten in die Bühnenmitte gefahren werden. Regisseur Edward Hall kann auf diese grandiosen vier Darsteller setzen, von denen kaum einer Schwächen zeigt. Einzig bei Emily Barber hatte ich das Gefühl, dass sie einfach rollenbedingt zu wenig von ihrem Können zeigen kann. So schnell werde ich das Stück nicht vergessen. Und Adrian Lesters Lächeln auch nicht.
Gesehen am 6. März 2019 im Hampstead Theatre, London
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