Das Thema „künstliche Intelligenz“ ist zweifellos das Thema unserer Zeit. So ist es wenig überraschend, dass man sich inzwischen auch auf Theaterbühnen mit dem Thema auseinandersetzt. Im Londoner Hampstead Theatre inszenierte Ellen McDougall mit EAST IS SOUTH ein Drama über die Grenzen zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz. Im Zentrum der Geschichte geht es um eine fortschrittliche künstliche Intelligenz namens Logos, die ein eigenständiges Bewusstsein entwickelt hat. Nach einer Sicherheitsverletzung geraten zwei Programmierer in den Fokus einer intensiven Befragung. Lena (Kaya Scodelario) und Sasha (Luke Treadaway) werden nun verdächtigt, die KI absichtlich freigesetzt zu haben. Beide streiten die Vorwürfe ab. Ihr Vorgesetzter, Professor Ari Abrams (Cliff Curtis), die Psychologin Samira Darvish (Nathalie Armin) und der CIA-Profiler Olsen (Alec Newman) setzen alles daran, die Wahrheit aus den beiden herauszubekommen, bevor Logos unkontrollierbar wird.

Dialogische Monologe
Trotz dieser interessanten Ausgangslage ist Beau Willimons Stück nicht besonders spannend. Die sprachliche Dichte der Inszenierung geht zu Lasten einer dramatischen Spannung. Kurz gesagt: es wird zu viel geredet und zu wenig gemacht. EAST IS SOUTH setzt stark auf intellektuelle Diskurse und religiös-philosophische Gedankengänge, die nicht immer organisch aus den Charakteren erwachsen. Die recht umfangreichen Monologe und Dialoge wirken mitunter konstruiert und die Figuren handeln nicht immer wie lebensnahe, „echte“ Figuren, sondern vielmehr wie Personas, die für ein bestimmtes Konzept oder eine Haltung zum Thema KI stehen. So haben die einzelnen Figuren tatsächlich auch häufig nur eine oder zwei Charaktereigenschaften vom Autor spendiert bekommen. Lena stammt aus einer mennonitischen Kirchengemeinde und hatte lange Zeit keinen Zugang zu technologischen Geräten. Was die Frage aufwirft, warum sie überhaupt Programmiererin wurde. Sasha ist ein gescheiterter Konzertpianist und ehemaliger russischer Dissident, was ihn natürlich ebenfalls verdächtig macht, weil er ja ein russischer Spion sein könnte.

Gegen den Text anspielen
Das große Problem des Texts bleibt durchweg, dass nie ganz klar ist, was das Freilassen der KI jetzt tatsächlich bedeutet. Ist es ein Problem, weil sich dann die KI in Regierungsrechner einhacken könnte? Was ist hier überhaupt der Grund für diese Befragungen? Das macht es dann auch schwer, den CIA-Profiler Olsen und die Psychologin Samira zu verstehen, die beide Programmierer mit einer Variante von Good Cop-Bad Cop und der vollen Bandbreite der Strafverfolgung unter Druck setzen. Dass der Abend kein Komplettausfall ist, liegt an der starken Besetzung, die sich alle Mühe gibt, dem komplexen Text und ihren Figuren Leben einzuhauchen. Die undankbarste Rolle hatte dabei Kaya Scodelario, die mehr Befragungszeit als Luke Treadaways Sasha bekommt, der im Off weiter befragt und gefoltert wird. Besonders in Erinnerung ist mir Cliff Curtis geblieben. Er führt am Ende des Abends ein Haka auf. Der rituelle Tanz der Māori wird heutzutage zur Begrüßung angesehener Gäste, zur Anerkennung großer Leistungen oder bei Beerdigungen aufgeführt. Ich werde an dieser Stelle nicht spoilern, was der Anlass in diesem Fall war.

Zweigeteiltes Bühnenbild
Die Bühne nutzt Vertikalität um Machtverhältnisse und Hierarchien zu visualisieren. Oben befindet sich der Beobachtungsraum, in dem die Verhöre überwacht werden, unten der Raum, in dem Lena und Sasha befragt werden. Diese räumliche Aufteilung betont die Überwachungssituation und die hierarchischen Verhältnisse zwischen den Figuren. Und hier findet sich auch wieder ein „oben“ und „unten“, das man auch aus religiösen Kontexten kennt. Beau Willimons Stück beschäftigt sich nämlich stark mit der KI und Religion. Dazu schickt er eine sufi-muslimische Psychologin, einen maori-jüdischen Professor, die ehemalige Mennonitin Lena und den Atheisten Sasha in den Ring. Nur Agent Olsen, der die Frage nach seiner Religion sarkastisch mit „I’m American“ beantwortet, ignoriert den tiefgreifenden Diskurs und konzentriert sich auf den Fall. Im Verlauf des Stücks kommt schließlich heraus, dass Lena und Sasha die KI auch mit Paradoxien konfrontiert haben. „East is south“ ist faktisch falsch. In einer Religionsgemeinschaft kann es aber solche Widersprüche geben. Das Stück streift diese Schnittstelle, ohne sie aber vollständig zu ergründen.

Das Hampstead Theatre habe ich aufgrund von COST OF LIVING noch positiv in Erinnerung, aber EAST IS SOUTH konnte mich leider nicht überzeugen. Zu verkopft war das alles. Dabei ist das Thema durchaus interessant. Die Faszination für das Thema ist spürbar und auch aktuell, aber leider erfüllt der Abend nicht die Grundprämisse, nämlich Antworten zu liefern.“ Willimon greift geschickt philosophische Konzepte auf und verbindet sie mit einer Thriller-Struktur. Doch so richtig thrilling wird’s dann leider nicht.
Gesehen am 06. März 2025 im Hampstead Theatre
6.5/10