Im Zuge meiner Vorbereitung auf die diesjährigen Golden Globes kam ich an einem Film natürlich nicht vorbei: THE TRIAL OF THE CHICAGO 7 von Aaron Sorkin. Der oscarprämierte Autor hatte vor vier Jahren mit MOLLY’S GAME schon ins Regiefach gewechselt und widmet sich in seiner neuen Arbeit einem wichtigen Fall der US-Justizgeschichte. Inhaltlich geht es um eine Demonstration 1968, die anlässlich des Parteitags der Demokratischen Partei in Chicago stattgefunden hat. Letztendlich führte diese aber zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und der Nationalgarde. Die Organisatoren der Demonstration, unter anderem Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen), Jerry Rubin (Jeremy Strong), Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II), wurden der Anstiftung zu einem Volksaufstand angeklagt, und die darauf folgende Gerichtsverhandlung ging als einer der berüchtigtsten Prozesse in die US-Geschichte ein.
Zu Recht für das Drehbuch ausgezeichnet
Sorkin, der sich bekanntermaßen einen Namen als Drehbuchautor gemacht hat, hat auch für THE TRIAL OF THE CHICAGO 7 wieder einen Golden Globe für das Drehbuch erhalten. Bei den Oscars geht der Film sogar in sechs Kategorien ins Rennen. Wer Sorkin-Stücke kennt, weiß schon, dass immer viel geredet wird. Trotzdem fühlt sich der Film durch die parallel erzählten Handlungsstränge mit Vor- und Rückblenden gar nicht so textlastig an. Leider ist der Frauenanteil nicht besonders hoch, aber bei einem hochkarätigen Ensemble mit Eddie Redmayne, Joseph Gordon-Levitt, Mark Rylance, Frank Langella und Michael Keaton mache ich da mal eine Ausnahme. Sorkin gelingt es, dass wirklich jeder von ihnen genügend Text und Momente zum Strahlen bekommt.
Nicht alles für bare Münze nehmen
Wie bei allen Biopics sollte man etwas vorsichtig sein, wenn es um die Darstellung von historischen Fakten geht. Da wird nämlich gerne mal im Zuge der Dramaturgie etwas dazuerfunden oder weggelassen. Historisch korrekt ist der Film allerdings nicht ganz, denn obwohl im Nachhinein festgestellt wurde, dass sich weder die Polizei noch die Protestanten mit Ruhm bekleckert haben, schlägt sich THE TRIAL OF THE CHICAGO 7 schon relativ eindeutig auf die Seite der Angeklagten. Wohl auch, weil der Richter Julius Hoffmann, großartig porträtiert von Frank Langella, ziemlich inkompetent war. Letzteres gilt → als historisch verbürgt. Ihn kann man aus ganzem Herzen hassen.
Packend bis zum Schluss
Da man in Europa die Geschichte um die Chicago 7 bzw. 8 wahrscheinlich nicht kennt, bleibt es auch bis zum Schluss noch richtig spannend. Auch wenn bis zum großen Finale dann doch noch die eine oder andere Länge aufkommt, ist dieses Justiz-Drama packend bebildert. Sorkin beschränkt sich die meiste Zeit mit Pathos und Patriotismus auf ein Minimum um dann in einer epischen Schlussszene einen ganzen Kübel davon über dem Publikum auszugießen. Das ist aber in Ordnung, denn Geschichtsnachhilfe hat selten so viel Spaß gemacht.
THE TRIAL OF THE CHICAGO 7 ist im Netflix-Abo enthalten.
9/10
Waren die Protestierenden alle Protestanten? 😉