Shia-LeBeoufing. → Die Screenjunkies nannten es zuerst so. Das hysterische “No, No, No, No, Noooooo!” einer Person, die auf eine ernste Lage mit einem Redeschwall reagiert. Eine Eigenart, die Shia LeBoeuf in den TRANSFORMERS-Filmen perfektioniert hat. Ich habe während der Vorführung von LIFE innerlich immer wieder ge-shia-lebeouft. Klingt zwar komisch den Begriff als Verb zu verwenden, aber es beschreibt am ehesten meine Emotionen während ich den Film gesehen habe. Wobei “sehen” hier teilweise auch das falsche Wort ist. Manchmal habe ich zwischen den Fingern, die ich gerade vor mein Gesicht hielt, gelinst. Manchmal habe ich auch einfach so auf den unteren Bildrand gestarrt, dass man gerade noch verschwommen das Gesamtbild erkennt ohne es explizit anzuschauen. Ich mag keine Monster- oder Gruselfilme. Mit Weltraumfilmen hatte ich bisher auch nicht viel am Hut. Im Studium habe ich 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM gesehen und natürlich GRAVITY und DER MARSIANER, aber das war es im Grunde. Ich erwähne das nur vorneweg, bevor ich in den Kommentaren “LIFE ist doch nur ein lauwarmer Abklatsch von ALIEN” lese.
Der Film spielt in nicht allzu ferner Zukunft auf der internationalen Raumstation ISS. Dort arbeiten die Wissenschaftler Roy Adams (Ryan Reynolds), David Jordan (Jake Gyllenhaal), Hugh Derry (Ariyon Bakare), Miranda North (Rebecca Ferguson), Ekaterina Golovkina (Olga Dihovichnaya) und Sho Murakami (Hiroyuki Sanada). Eine Sonde bringt Proben vom Mars zur Station, die sich als eine bemerkenswerte Entdeckung herausstellen. Die Crew findet außerirdisches Leben. Der Organismus wird Calvin getauft. Mit der Zeit wird Calvin immer größer und ist bei weitem intelligenter als zunächst von der Crew erwartet. Calvin befreit sich aus dem Untersuchungslabor und die Crew tut alles um zu verhindern, dass der Organismus auf die Erde gelangt.
Böse ist immer eine Sache des Blickwinkels
LIFE kommt mit einer interessanten These um die Ecke. Ariyon Bakares Figur erklärt an einer Stelle, dass das Marswesen Calvin niemanden hasst. Es töte nicht, weil es töten muss, sondern um das eigene Überleben zu gewährleisten. Heruntergebrochen: Dein Gegenüber, und sei es dir noch so fremd, ist nicht böse. Auch wenn ich die Argumentation im Film nachvollziehen kann, lässt sie sich schwer auf „das echte Leben“ übertragen. Schaut man sich in der Weltpolitik um, kann man der These kaum zustimmen. Allerorts hört man immer mehr die Unterscheidung “wir” und “die”. “Wir” sind erschüttert, weil “die” sich dazu entscheiden Kraftfahrzeuge in Menschenmengen zu fahren, weil “die” denken, sie könnten das “Wir” erschüttern. Das ultimative Wir-Gefühl hat Donald Trump bei seiner Antrittsrede ausgerufen: “America First”. Und 37 % des amerikanischen “Wirs”, die Trump nach wie vor feiern, freut sich über Bomben, die auf “die” herabregnen. Weil “die” dem “Wir” angeblich schaden wollen. Krieg ist immer persönlich. Ganz besonders, wenn es um die eigene Existenz geht; wenn man der Einzige seiner Art ist. Als Angehöriger der menschlichen Rasse ist man bei einem Film über Menschen und Aliens ja ganz automatisch auf der Seite der Menschen, allerdings bietet LIFE auch eine andere Lesart an. Eine aus der Sicht des Alienwesens.
Bedrohung im All
Die Bedrohung ist allgegenwärtig. Die Crew muss mehrfach die eigenen Befindlichkeiten zurückstellen. Es geht um das große Ganze. Der Spielort, die ISS, ist natürlich ein passender Rahmen für die Handlung. Im All spielen Nationalitäten keine Rolle, sondern nur Fähigkeiten und verschiedene Stärken. Das von Jake Gyllenhaal gespielte Crewmitglied David möchte vielleicht auch deshalb gar nicht mehr auf die Erde zurück.
Gleichzeitig – so Regisseur Espinosa – sei die Geschichte der Menschheit und insbesondere wie die Menschheit mit dem Fremden umgehe, keine glorreiche Geschichte. Der Cast spielt durch die Bank grandios gut. Durch die zügige Narration ist man mitten in der Geschichte und leidet mit den Figuren. Der Film hält sich nicht lange mit ausführlichen Hintergrundgeschichten der Figuren auf, sondern die unterschiedlichen Charaktere erschließen sich aus dem Verhalten auf die außergewöhnliche Situation (eine Form des Storytellings, die selten geworden ist dieser Tage). Während den Dreharbeiten wusste noch niemand wie Calvin am Ende aussehen würde, daher hatten die Schauspieler Knöpfe im Ohr. Daniel Espinosa gab darüber Regieanweisungen, die vom Cast realistisch umgesetzt wurden.
Das A und O: Anfang und Ende
Auch wenn Ähnlichkeiten zu GRAVITY und anderen Sci-Fi-Filmen dieser Art zu erkennen sind, hat der Film eine eigene Note. Besonders die siebenminütige Eröffnungssequenz, in der die Kamera GRAVITY-mäßig durch die Raumstation schwebt, verursacht ein leichtes Schwindelgefühl und Desorientierung. Oben ist unten und die Crew hängt von der Decke. Seamus McGarvey, der für ANNA KARENINA und ABBITTE für einen Oscar nominiert war, macht einen guten Job. Er unterstreicht die klaustrophobische Atmosphäre ohne permanent mit der Kamera an den entsetzten Gesichtern der Crewmitglieder zu kleben. Der Film bietet neben den Grusel-Actionszenen immer wieder ruhige Momente zum Durchschnaufen. Manchmal geraten diese Durchatem-Szenen etwas zu lang oder sind ein bißchen zu offensichtlich auf Charakterexposition ausgelegt ist. Gewalttätige Szenen kommen aus ästhetischen Gesichtspunkten in der Schwerelosigkeit besonders gut zur Geltung, wenn etwa Tränen und Blutstropfen durch die Luft fliegen. Espinosa spielt in der letzten Einstellung des Films mit den Erwartungen des Zuschauers und gerade im Nichterfüllen dieser Erwartung liegt die Stärke des Films. Der dröhnende Soundtrack, das bedrohliche Wummern, in der letzten Szene bleiben in Erinnerung. Meine innere Stimme meldet sich. Sie sagt: “Nein, nein, nein, nein, NEIN!” Die Credits laufen, das Licht geht an und ich grinse über beide Backen.
5/6 bzw. 8.5/10
Trailer: © Sony Deutschland
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