Ganz ehrlich, mit Sondheim habe ich der Vergangenheit nicht immer die besten Erfahrungen gemacht. Wenn ich noch einmal jemanden “INTO THE WOODS” singen höre, kriege ich die Krise. Daher stand ich FOLLIES eher vorsichtig optimistisch gegenüber. Glücklicherweise hat mich die → Singende Lehrerin, die das Stück schon live in London gesehen hat, dann doch zum Kinogang an einem kalten Samstagmorgen überzeugt. Sondheims Musical spielt im Jahre 1970.
Das legendäre Revue-Theater der 20er Jahre, das Weissman-Theater, soll abgerissen werden. Daher lädt der namensstiftende Impresario seine ehemaligen Revuetänzerinnen noch einmal zu einer Abschiedsvorstellung ein. Unter den Gästen sind auch die ehemaligen Tänzerinnen Sally Durant Plummer (Imelda Staunton) und Phyllis Rogers Stone (Janie Dee). Beide sind verheiratet und erscheinen mit ihren Ehemännern Buddy (Peter Forbes) und Ben (Philip Quast). Während die Ehemaligen mit Freude noch einmal ihre alten Nummern aufführen, werden Sally, Phyllis, Buddy und Ben immer mehr von alten Gefühlen übermannt. Ben hatte Phyllis geheiratet, obwohl Sally einst ihn Ben verliebt war. Die Unzufriedenheit mit ihrem jetzigen Leben und das Gefühl etwas verpasst zu haben, treibt Sally und Ben zueinander. Buddy wiederum gesteht Sally seine Seitensprünge und Phyllis trennt sich – nachdem sie von den Gefühlen von Sally und Ben erfährt – von Ben.
Hail the Queen!
Der Titel ist doppeldeutig. Zum einen nimmt er Bezug auf die legendäre Revue → Ziegfeld Follies des Theaterproduzenten Florenz Ziegfeld Jr. und ist andererseits eine Anspielung auf das englische Wort für Torheit. Von diesen Torheiten bekommt man dann im letzten Drittel besonders etwas zu sehen, wenn die Torheiten der vier Hauptrollen ausführlich thematisiert werden. Nicht jedes Lied ist unbedingt ein Ohrwurm – und nach INTO THE WOODS bin ich wirklich froh darum. An manchen Stellen hätte ich mir ein bißchen weniger Musik gewünscht, aber im Großen und Ganzen macht es großen Spaß den Sängern und Tänzern zuzusehen.
Bei den Tanznummern, insbesondere wenn eine große Gruppe an Tänzern auf der Bühne steht, möchte man sofort selbst mittanzen. Die Damen, insbesondere Imelda Staunton, Janie Dee und Tracie Bennett, spielen die Herren der Schöpfung gnadenlos an die Wand, was schon nahezu unmöglich ist, denn auch der männliche Cast macht im wahrsten Sinne des Wortes eine gute Figur. Müsste ich von den Damen noch die Beste küren, dann wäre das ohne Zweifel die fabelhafte Imelda Staunton, die momentan ein Dauergast bei NT Live ist. Bereits WHO’S AFRAID OF VIRIGINIA WOOLF? lief in dieser Reihe und auch das hat mich umgehauen. Die 61-jährige fegt tanzend über die Bühne – so eine Kondition hätte ich auch gerne mal – , haut Powerballaden raus, die für Gänsehaut sorgen, und spielt dabei einfach unglaublich gut. Imelda ist für mich DIE Theater-Queen 2017. Wow, einfach nur wow!
Opulentes Kostüm und starke Musik
FOLLIES ist das Kino- oder Theaterticket sowas von wert. Man sieht der Produktion an, dass darin ordentlich Geld steckt. Es ist eine unfassbar aufwändige Produktion – die aufwendigste in der jüngeren Geschichte des National Theatres.
37 Schauspieler/Sänger/Tänzer auf der Bühne, dazu ein 21 Mann starkes Orchester, 600.000 glitzernde Steine an 160 Kostümen, davon 62 Einzelstücke von gefiedertem Kopfschmuck. Bereits in der Eröffnungsnummer, wenn die ehemaligen Revue-Girls nochmal in ihren opulenten, mit Swarovski-Steinen besetzten Kleidern in den Bühnenraum schweben, sieht man wie gut dieses Geld angelegt ist. Man ist einfach nur erschlagen von diesem Prunk. Das letzte Drittel war mir etwas zu lang, hier muss man das ein oder andere Lieder einfach „aussitzen“, aber spätestens das große Finale entschädigt die kurze Wartezeit wieder.
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © NT Live
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