Ein Film, der dieses Jahr an mir vorbeigegangen ist, war ATOMIC BLONDE. Ein Glück, wenn man im Presseverteiler eingetragen ist und ab und an einen Screener zur Ansicht geschickt bekommt, wenn man lieb fragt. Die Verfilmung eines Graphic Novels spielt im November 1989 in Berlin. Kurze Zeit vor dem Fall der Berliner Mauer wird ein britischer Geheimdienstler tot aufgefunden. Der hatte eigentlich die Aufgabe Informationen aus dem Osten in den Westen zu schmuggeln, darunter auch eine Liste mit allen Namen der in Berlin tätigen Spione. Nach dem Tod des Agenten ist die Liste verschwunden. Der MI6 schickt die erfahrene Spionin Lorraine Broughton (Charlize Theron) nach Berlin. Sie soll die Liste beschaffen und Kontakt mit dem Ex-Geheimdienstmitarbeiter David Percival (James McAvoy) aufnehmen. Broughton erkennt bald, dass sie sich in einem Wespennest befindet. Inmitten der sozialen Unruhen vor Ort und dem permanenten Misstrauen trifft Lorraine auf die französische Agentin Delphine (Sofia Boutella).
Ein weiblicher Bourne? Wohl kaum.
Charlize Theron, die bei diesem Film auch als Produzentin mitwirkte, verbrachte über fünf Jahre mit der Vorbereitung des Stoffes. Anders als andere Actionfilme ist ATOMIC BLONDE auch darauf ausgelegt Fortsetzungen möglich zu machen. Drehbuchautor Kurz Johnstad machte direkt Vergleiche mit dem Bourne-Franchise auf. Mit Jason Bourne kann es Lorraine aber nicht aufnehmen. Diese Hauptfigur bleibt erstaunlich eindimensional. Charlize Theron ist die meiste Zeit damit beschäftigt gut auszusehen, lasziv Zigaretten zu rauchen, ihren geschundenen Körper in Eiswasser zu tauchen oder mit Sofia Boutella herumzuknutschen.
Der Film wirkt an vielen Stellen als habe ein Altherrenclub das Drehbuch geschrieben. Hauptsache „sex sells“. Theron glänzt allenfalls noch in den packenden und fantastisch inszenierten Kampfchoreografien. James McAvoy bleibt völlig hinter allen Erwartungen zurück. Ich kann noch nicht einmal sagen, ob es am Schauspiel oder am schwachen Drehbuch liegt. Was McAvoy angeht, bin ich etwas zu SPLIT-verwöhnt. Es ist dieses ernüchternde Gefühl, wenn du weißt, dass es ein Schauspieler eigentlich besser kann (siehe SPLIT) und es dann aber in anderen Filmen – wie hier – einfach nicht macht. Und Sofia Boutellas Figur ist sowieso nur reines Eyecandy.
Berlin im Neonlicht
Jeder, der sich ein bisschen mit der deutschen Geschichte und Berlin zur Wendezeit auskennt, merkt schnell, das das Berlin in diesem Film wenig mit der Realität zu tun hat. Auch wenn sich der Regisseur David Leitch an mehreren Stellen redlich Mühe gibt historische Fakten und die Handlung des Graphic Novels “The Coldest City” zu verbinden, gelingt ihm das nicht. Im Hintergrund laufen Fernsehberichte, die wohl ein Gefühl von Authentizität vermitteln sollen. Doch das passt nicht mit dem Rest zusammen.
Die Musik ist omnipräsent und extrem dominant. Hier werden wahllos deutsche, österreichische oder englische Songklassiker aneinandergereiht, egal, ob die irgendwas mit der Wende zu tun haben. „Major Tom“, „99 Luftballons“ (taucht sogar gleich in zwei verschiedenen Versionen im Soundtrack auf) und „Der Kommissar“ unterstreichen den gewalttätigen Blutreigen. Nur selten passt das Lied inhaltlich auch zum Gezeigten. Was in anderen Filmen eventuell noch eine kreative Spannung hätte, bleibt bei ATOMIC BLONDE aus. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Optik nicht zur Musik passt und die Musik nicht zur Handlung und die nicht zur Optik. Die komplette Thematik des Mauerfalls wird nur angerissen. Sie bildet nur die Kulisse für diesen Spionagethriller. Alles in allem ist ATOMIC BLONDE eine halbgare Mischung, die nicht immer überzeugt.
3.5/6 bzw. 6.5/10
Der Film ist ab 22. Dezember 2017 als DVD, Blu-Ray und über VoD zu erwerben. Zur Erstellung der Kritik wurde mir von Universal Pictures freundlicherweise ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf meine Wertung.
Trailer: © Universal Pictures Germany
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