Horror- und Grusel-Filme sind so gar nicht meins. M. Night Shyamalan gehört auch nicht zu meinen Lieblingsregisseuren. Warum sollte ich dann also SPLIT anschauen? Der erste Trailer lieferte die Antwort: James McAvoy. Im Kino wollte ich mir den Film aber auf keinen Fall anschauen, dazu bin ich dann doch zu ängstlich. Also habe ich SPLIT jetzt zuhause angesehen. Mit mehreren Unterbrechungen. Und manchmal mit Ton aus. Und an verschiedenen Tagen. Entführungen sind einfach gruselig. Die eigensinnige Casey (Anya Taylor-Joy) und ihre zwei Mitschülerinnen Claire (Haley Lu Richardson) und Marcia (Jessica Sula) wollen einfach nur nachhause. Claires Vater bietet an sie zu fahren, doch auf dem Parkplatz wird er von einem Unbekannten überwältigt. Der steigt kurz darauf in das Auto und betäubt die Mädchen. Casey, Claire und Marcia wachen in einem Keller wieder auf.
Ihr Entführer Kevin (James McAvoy) kommt die Mädchen kurz darauf besuchen, allerdings jedes Mal als eine andere Persönlichkeit. Mal als reinlicher Dennis, mal als fürsorgliche Mutter Patricia oder als neunjähriger Junge Hedwig. Die Mädchen verstehen bald, dass ihr Entführer unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet. Nur wenig Leute wissen davon. Kevins Psychiaterin Dr. Fletcher (Betty Buckley) kennt die 23 Wesen in seiner Psyche. Während die Mädchen verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit suchen, ahnen sie jedoch nicht, dass sich in Kevin eine dämonische 24. Persönlichkeit regt, die sich nur „die Bestie“. Die Zeit wird knapp.
Güldene Statuen für McAvoy
Was für ein Ritt. SPLIT ist eine One-Man-Show von James McAvoy und im Grunde eine Arbeitsprobe/Bewerbung in Spielfilmlänge. Nach diesem Film möchte man dem Mann einen Oscar oder einen Golden Globe oder irgendeinen anderen Preis, der in der Sonne glänzt, geben. Sein schauspielerisches Können wird von keinem seiner Castkollegen annähernd erreicht. Man gruselt sich sowohl vor die Qualität des Schauspiels, aber auch vor der Unberechenbarkeit seiner Figur(en). Dank dieser grandiosen Leistung geraten die Logiklöcher seiner Figur stark in den Hintergrund. Innerhalb kürzester Zeit wechseln sich die Persönlichkeiten ab und Kevin müsste in jedem Raum die entsprechende Klamotte liegen haben um blitzschnell von der einen Figur in die andere zu wechseln. Natürlich kommt der Film nicht ohne die typischen Horrorfilmklischees aus: Die Opfer sind hilflose Mädchen, die sich im Zuge ihrer Entführung immer mehr entkleiden, was teilweise auch von dem Zwangsneurotiker Dennis verlangt wird, da ihre Kleidung angeblich schmutzig ist. (Ja, ja, is‘ klar.) Sex sells offenbar immer noch, gerade im Horrorgenre. Wie auch die Kollegen von Screen Junkies richtig hinweisen, laufen die Mädchen nicht weg, selbst wenn sie könnten.
Video „Honest Trailers“: © Screen Junkies
Die helle Rückschau offenbart Dunkles
Über weite Teile habe ich mich gefragt, warum die ganze Zeit Rückblenden über Caseys Kindheit gezeigt werden. Diese Szenen wirken teilweise überflüssig und reißen aus dem Erzählfluss nicht nur durch eine farbenfrohe Optik heraus. Ein bißchen ist es zwar verständlich, denn diese Rückblenden zeigen Casey zusammen mit ihrem Vater und ihrem Onkel bei der Jagd, was im Hinblick auf ihre Entführungssituation und dem Umgang damit auf den ersten Blick einen Sinn ergibt. Erst am Ende des Films kommt die Auflösung, die Caseys schwierige Kindheit und eine dunkle Vergangenheit von ihr offenbart.
Aus feministischer Sicht ist der Film dahingehend interessant, weil die Entführungsopfer weiblich sind und sich ausschließlich in einer Opferrolle befinden. Interessanterweise überleben alle Filmfiguren, die sich nicht dieser Rolle fügen, das Filmende nicht. Nur die Figuren, die sich trotz Misshandlungen und permanenten Grenzübertretungen devot und verständnisvoll verhalten, dürfen überleben. Hier könnte man durchaus ein regressives Weltbild von Shyamalan hineininterpretieren, der auch das Drehbuch für den Film verfasste. Das ist nicht erst angesichts der aktuellen Debatte über Frauen im Film und Machtmissbrauch von einflussreichen Persönlichkeiten als kritisch zu werten. Das offene Ende sorgt dafür, dass man sich als Zuschauer Gedanken macht, wie die Geschichte um Kevin und Casey weitergeht. Auch die Schlussszene, die eine Referenz zu Shyamalans Film UNBREAKABLE – UNZERBRECHLICH (2000) enthält, lässt Raum für Interpretationen und macht Lust auf den Film GLASS, der sich momentan in der Post-Produktion befindet und im Januar 2019 in die Kinos kommen soll um beide Filme zu verbinden.
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © Universal Pictures
Dass sich die Hauptfigur mit ihrer Opferrolle abfindet (und deshalb überlebt), möchte ich so nicht unterschreiben. Auch sie sucht nach Möglichkeiten, aus dieser Situation zu entkommen, handelt im Gegensatz zu den anderen aber nicht impulsiv. Sie denkt stets einen Schritt weiter und wägt ab, wann es sinnvoll ist, eine Aktion zu starten – und wann nicht. Ihr Verhalten ist nur darauf ausgelegt, ihren Peiniger kennenzulernen und so Schwächen zu entdecken, die ihr die Flucht ermöglichen könnten.
Oder anders formuliert: Sie handelt deutlich intelligenter als die anderen Opfer, denen außer „lasst ihn uns schlagen und wegrennen, ohne zu wissen, ob wir weiter als zur nächsten Ecke kommen“ nichts einfällt.
Du beziehst dich hauptsächlich auf Caseys Verhalten am Anfang des Films. Da verstehe ich deine Haltung. Ich bezog mich aber auf das Ende. Ich will das mal an einer Szene deutlich machen. – SPOILER ALERT – Shyamalan lässt Casey nur überleben, weil sie selbst schon ein Trauma erlebt hat. Die Szene, in der das Biest die Wunden an Caseys Körper sieht, macht nicht nur dem Zuschauer deutlich, dass Casey und ihr Onkel offenbar nicht das beste Verhältnis haben/hatten, sondern es zeigt auch wie das Biest gerade deshalb von Casey ablässt. Gerade, weil Casey ein Opfer ist, überlebt sie. Gerade, weil die anderen Mädchen keinen Onkel haben, der sie ganz offensichtlich misshandelt, überleben sie nicht. Und diese Logik finde ich schwierig. – SPOILER ENDE –