Ich bin ein bißchen spät zur Party gekommen. Während „Filmtwitter“, Bloggerkollegen und Letterboxd-Nutzer wochen- und monatelang PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU gelobpreist haben, habe ich mich da noch vornehm zurückgehalten. Jetzt aber, wo der Film im Amazon Prime-Abo enthalten ist, gab es wirklich keinen guten Grund mehr die Sache aufzuschieben. Eines schonmal vorneweg: Die Lobeshymnen waren gerechtfertigt. Ende des 18. Jahrhunderts kommt die Pariser Malerin Marianne (Noémie Marchant) auf einer abgelegenen Insel in der Bretagne an. Sie wurde von einer verwitweten Gräfin (Valeria Golino) beauftragt, das Hochzeitsporträt ihrer Tochter zu zeichnen. Doch die zukünftige Braut Héloïse (Adèle Haenel) weigert sich aus Protest gegen die arrangierte Ehe Modell zu stehen. Marianne bleibt nichts anderes übrig, als Héloïse während ihrer Spaziergänge an der Meeresküste genau zu beobachten und sie später aus dem Gedächtnis heraus zu zeichnen.
Herrliche Komposition
PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU ist in erster Linie eines: wahnsinnig schön. Die Bilder, die Kamera, alles ist durchdacht und komponiert wie die opulente Symphonie, die in der letzten Szene zu hören ist. Im direkten Kontrast dazu steht eine relativ einfach gehaltene Geschichte, die aber aufgrund der undurchsichtigen Charaktere nie langweilig wird. Wie Marianne beobachtet der Zuschauer die Szenerie und entdeckt in kleinsten Gesten, die von der Kamera in Nahaufnahme eingefangen werden, die großen Gefühle, die sich zwischen den beiden Frauen entwickeln. Dadurch, dass die meisten Charaktere allesamt mit Frauen besetzt sind, die sich in der Regel ebenbürtig sind, gibt es auch nicht die klassischen Machtkämpfe, die für Filme über das 18. Jahrhundert üblich sind. Selbst die Dienstmagd Sophie (Luàna Bajrami) wird zur Komplizin und Mitwisserin. Die Frauen unterstützen einander, die Männer sind in dieser Geschichte namen- und gesichtslos. Und weit weg, irgendwo in der Ferne.
Fantastische Darstellerinnen
Tatsächlich empfand ich den Film seltsam entrückt von der Außenwelt. Wie eine weibliche Antwort auf die Romanverfilmung CALL ME BY YOUR NAME, auch wenn die Zeitperioden, in denen beide Filme spielen, ziemlich unterschiedlich sind. Aber auch die Epoche, die sich Regisseurin und Autorin Céline Sciamma als Grundlage für ihre Erzählung herausgesucht hat, kam mir als Zuschauerin seltsam modern vor. In vielen Szenen wird kaum geredet. Und gerade das macht häufig auch die Spannung aus. Um das das Ungesagte darzustellen braucht es daher zwei Hauptdarstellerinnen, die auch mit minimalen Gesten alles aussagen können, was es zu „sagen“ gibt. Den beiden Hauptdarstellerinnnen Noémie Marchant und Adèle Haenel gelingt das ausgesprochen gut. Auch wenn ich mir das zweite Drittel ein bißchen zügiger erzählt gewünscht hätte, ist das wirklich Jammern auf extrem hohen Niveau. Bildkompositorisch und schauspielerisch ist PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU einer der besten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe.
5.5/6 bzw. 9/10
Der Film PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN ist momentan im Amazon-Prime-Abo enthalten. (Stand: Juli 2020)
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