Wieder einmal bestätigt sich meine These, dass man für gute Stoffe nicht viel braucht. Vier Schauspieler und ein ansprechendes Setdesign reichen völlig aus um eine gute Geschichte zu erzählen. Edward Albee erzählt in seinem Theaterstück von dem Geschichtsprofessor George (Conleth Hill) und seiner Frau Martha (Imelda Staunton). Gegen zwei Uhr morgens kommen sie alkoholisiert von einer Feier nachhause. Martha eröffnet ihrem Mann, dass sie noch Gäste eingeladen habe; den neuen Biologieprofessor Nick (Luke Treadaway) und seine Frau Honey (Imogen Poots). Marthas Vater, der Dekan der Universität, habe gesagt, es sei wichtig, sich gut mit ihnen zu verstehen. George fühlt sich überrumpelt und beginnt einen Streit mit Martha, mit der er schon zwanzig Jahre verheiratet ist.
Als die Gäste eintreffen, heizt sich die Stimmung – nicht nur durch den fortwährenden Alkoholkonsum – weiter auf. Nick und Honey geraten zwischen die Fronten des ehelichen Streits und werden bald selbst zum Teil des Geschehens. Als George versucht seine Frau zu erwürgen, versucht sich Martha an ihm zu rächen. Sie beginnt mit Nick zu flirten und verschwindet schließlich mit ihm in der Küche. Honey bekommt davon nichts mit, da sie den Alkohol nicht verträgt und daher die meiste Zeit im Badezimmer über der Kloschlüssel verbringt. George platzt endgültig der Kragen und versammelt alle im Wohnzimmer.
Mrs. Umbridge rockt! Lord Varys auch.
All das Lob, das Imelda Staunton, die den Jüngeren sicherlich als Dolores Umbridge aus den HARRY POTTER-Filmen bekannt ist, für ihre Darstellung der Martha einheimst, ist einfach nur gerechtfertigt. Staunton spielt mit einer derartigen Energie und Leidenschaft, dass man sich ernsthaft fragt, wie diese zierliche Frau den dreistündigen Verbalkampf Abend für Abend durchsteht. Die Energie, die Staunton an den Tag legt, ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Mehrfach habe ich mich dabei ertappt, wie ich mit offenem Mund auf die Leinwand starrte.
Ihr Gegenpart Conleth Hill, seines Zeichens Lord Varys aus GAME OF THRONES, der mit Haaren gleich zehn Jahre älter aussieht, steht ihr in Nichts nach. Diesen starken Gegenpart braucht es auch um Martha in die Schranken zu weisen. Als große Enttäuschung erwies sich allerdings Luke Treadaway (THE CURIOUS INCIDENT OF THE DOG IN THE NIGHT-TIME). Viel zu tun hat er im ersten Akt nicht. Erst im zweiten und dritten Akt spielt er eine prominentere Rolle, die er aber nur halbherzig herüberbringt und dabei etwas verloren wirkt. Das liegt nicht nur daran, dass er ganz offensichtlich mit dem amerikanischen Akzent kämpft, den alle sprechen, sondern auch, weil er gegen Hill und Staunton einfach nicht ankommt. Auch Imogen Poots hat im Grunde wenig zu tun. Sie trinkt und lacht und übergibt sich (offstage) – das war’s dann schon. Obwohl das Stück ein Drama ist, steckt es voller schwarzem Humor. Das Stück wirkt dadurch sehr unterhaltsam und trotz der Länge sehr kurzweilig. Inhaltlich erinnerte es mich etwas an NO MAN’S LAND – zu dem ich immer noch keine Kritik verfasst habe, weil ich das Stück so sperrig fand – und DER GOTT DES GEMETZELS. Die drei Stunden (mit zwei Pausen) vergingen wirklich im Flug und es waren das Kinoticket in jedem Fall wert.
5.5/6 bzw. 9/10
Trailer: © NT Live
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