Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass es immer noch ein paar “Klassiker” gibt, die ich bislang noch nicht kenne. Dazu zählte bis vor kurzem auch A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM von William Shakespeare. Ein Unding, zumal es ja im Bridge Theatre in London eine immersive Umsetzung des Stücks gibt. Diese wurde – wie auch schon JULIUS CAESAR – via NT Live in die heimische Kinos übertragen. Die Rahmenhandlung folgt den Hochzeitsvorbereitungen von Herzog Theseus (Oliver Chris) und Hippolyta (Gwendoline Christie). Anlässlich der Hochzeit bereiten im angrenzenden Wald eine Gruppe Handwerker ein Theaterstück für die beiden ein. Kurz vor seiner Hochzeit hält der Theseus eine Audienz. Er erhält Besuch vom Athener Egeus. Egeus möchte, dass seine Tochter Hermia (Isis Hainsworth) den jungen Demitrius (Paul Adeyefa) heiratet. Doch Hermia ist in Lysander (Kit Young) verliebt und er auch in sie. Egeus verlangt von Theseus, seine Tochter gemäß dem Athener Gesetz bei Ungehorsam mit dem Tod zu bestrafen.
Theseus gibt ihr bis Neumond vier Tage Zeit, um zu gehorchen. Bis dahin muss sie entweder Demetrius heiraten oder zwischen der Todesstrafe und einem Leben in Verbannung wählen. Aufgrund dieser furchtbaren Aussicht beschließen die beiden Liebenden aus Athen zu fliehen. Sie weihen Hermias Freundin Helena (Tessa Bonham Jones), die in Demetrius verliebt ist, in ihre Pläne ein. Helena erzählt es wiederum Dimitrius, weil sie sich erhofft, dass dieser sich dankbar erweist. Die beiden Paare und die Handwerker treffen in der Nacht auf Feen und Elfen und werden in die Auswirkungen eines Ehestreites des Elfenpaares Oberon (Oliver Chris) und Titania (Gwendoline Christie) hineingezogen.
Titanias Genugtuung
Auch wenn männlichen Regisseuren gerne mal eine sehr männliche, soll heißen männerzentrierte, Regie vorgeworfen wird, inszeniert Nicholas Hytner seine Version von A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM als frauen- und LGBTQ-freundliches Stück. Zu Beginn sind alle Frauen des Stücks in biedere Klamotte gehüllt. THE HANDMAID’S TALE wurde hier als stilistisches Vorbild genommen. Doch sobald es in die Feenwelt geht, dürfen Männer wie Frauen ihren Sexappeal zur Schau stellen. An Stoffbahnen schweben die Feen über die Zuschauer hinweg und zeigen ihre Kunststücke. Eine weitere Änderung nahm Hytner beim Ausgangsstoff vor. Im Original-Shakespeare verzaubert Oberon seine Frau Titania mithilfe einer magischen Zauberblume, in Hytners Stück ist es umgekehrt. Nicht Titania ist es, die sich aufgrund der Zauberblume in Bottom mit dem Eselskopf schockverliebt, sondern Oberon. Und Oliver Chris und Hammed Animashaun geben wahrlich alles. Unter dem Gejohle der Zuschauer schmachten sich die beiden an und tanzen liebestrunken als gäbe es kein Morgen.
Der liebenswerte Puck auf dem Rockkonzert
Nicht vergessen darf ich natürlich nicht David Moorst, der seine diebische Freude zeigen darf. Als Handlanger von Titania muss er ihre Wünsche ausführen. Als er durch die Menschenmenge stürmt (“Move!”) und sich dann über das langsame Publikum beschwert (seufzend: “Londoners!) und dann jemand aus dem Publikum “I’m Irish.” ruft, lacht er mit dem gröhlenden Publikum mit. Das passt auch ins Konzept. Das Stück nimmt sich nicht wirklich ernst. Als die Handwerker ihr Theaterstück vorführen und Hippolyta in ihr Spiel miteinbinden, ist sie verstört, bis ihr Göttergatte sie aufklärt: “It’s immersive.”. Wieder ein Brüller. Ohnehin kommt bei A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM sofort Rockkonzert-Stimmung auf. Alle sind gut drauf. Die Zuschauer im Bridge Theatre, die Schauspieler auf der Bühne und ja, auch ich im heimischen Kinosaal.
Gelungene Neuinterpretation mit starker Musik
Das Quartett der guten Laune verkomplettiert Gwendoline Christie, die GAME OF THRONES-Fans als Brienne of Tarth kennen. Die Wallewalle-Kleider von Gwendoline allein sind ein Träumchen. Generell sind alle Kostüme von Christina Cunningham wunderschön. Hytner macht aus der Kriegerfrau von Westeros eine willensstarke, aber doch auch quirlige Feenkönigin. Es spricht für Christie, dass man ihr auch in dieser Rolle – die durchaus weit entfernt von dem ist, mit dem sie berühmt wurde – brilliert. Das Stück wird unterstützt von Komponist Grant Olding, der mit seinem “Lullaby” für einen spontanen Ohrwurm bei mir gesorgt hat. Aber auch Lieder wie “Top on Love” von Beyoncé oder “Bonkers” von Dizzee Rascal. Trotz all der Lacher war das Stück im letzten Viertel etwas zu lang. Auch wenn ich noch Tränen gelacht habe, war es mir dann doch etwas zu viel. Oliver Chris als Oberon, Gwendoline Christie als Titania, David Moorst als Puck und Hammed Animashaun als Bottom sind die ungekrönten Hoheiten im Feenwald. Kein Wunder, dass sie am Ende auch den größten Applaus einheimsen konnten.
Das sieht ja nach Spaß aus! Hätte ich auch gern geschaut. Vllt kommt es ja auch noch in ein Kino in meiner Stadt, wenn es Teil von NT Live ist.