Marienplatz

An mir ist dieser Vorfall komplett vorbeigegangen. Erst ein paar Monate war ich Einwohnerin Münchens, als es passiert ist. Am 19. Mai 2017 fuhr ein Mann mit seinem Auto auf den Münchner Marienplatz, übergoss sich mit mehreren Litern Benzin und zündete sich an. Er verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus und bis heute haben sich weder seine Identität noch die Umstände seiner Selbstverbrennung geklärt. Diese Geschichte ließ den polnischen Autoren Beniamin M. Bukowski, der auf Einladung des Residenztheaters für ein paar Monate Zeit in München verbrachte um ein Stück zu schreiben, nicht mehr los. Warum verbrennt sich jemand öffentlich? Warum gibt es so wenig Informationen zu dem Fall und warum scheint sich niemand so recht dafür zu interessieren?

Szenenbild aus MARIENPLATZ - © Sandra Then
Weihnachtsmarktoptik – © Sandra Then

Unbekannter Vorfall in idyllischer Atmosphäre

Das Bühnenbild erinnert an die Buden vom Weihnachtsmarkt, der in einem normalen Jahr auf dem Marienplatz stattfinden würde. Im Hintergrund thront das überdimensionale Bild der Mariensäule, ein weiteres Symbol vom Münchener Marienplatz. Eine Stadtführerin (Myriam Schröder) behauptet süffisant, die Marienstatue auf der Mariensäule sei deshalb vergoldet, „weil wir uns das leisten können“. Davon abgesehen habe München den besten Fußballverein der Welt, das beste Theater („ja, das ist richtig, die Kammerspiele!“) und sei schon immer tolerant gegenüber Immigranten gewesen – insbesondere gegenüber einem österreichischen Immigranten, der ein paar Jahre schlimme Dinge gemacht hat. Ach, es ist großartig, die Münchner Überheblichkeit, die mich selbst (als Zugereiste) auch ziemlich nervt, noch einmal humorvoll vor Augen geführt zu bekommen.

Szenenbild aus MARIENPLATZ (2020) - Regie: András Dömötör - © Sandra Then
Thomas Lettow porträtiert den Mann, der sich selbst verbrannt hat. – © Sandra Then

Der Autor als Erzähler im Vordergrund

In den meisten Stücken hält sich ein Autor vornehm zurück. Er lässt die Figuren für sich sprechen. In MARIENPLATZ macht sich der Autor Beniamin M. Bukowski selbst zum Protagonisten. Moritz von Treuenfels übernimmt seine Erzählung. Er erzählt von seinem Aufenthalt in München und wie er auf den Fall, den keiner kennt, aufmerksam wurde. Überlegt sich, wie es wohl ist, sich zu verbrennen. Überlegt, wie sich verschiedenste politische Gruppierungen den Vorfall zueigen machen. Wer der Mann war. Held, Opfer oder Märtyrer? Er überlegt sich auch, wie es wohl gerochen haben muss. Ein in Benzin eingelegtes Schweinskotelett mit menschlichen Haaren darauf wird auf einen Grill gelegt um den Geruch zu simulieren. Das war tatsächlich die einzige Zeitpunkt, bei dem ich nicht gerne im Theater gesessen hätte und froh um die Ausstrahlung auf dem Bildschirm war.

Szenenbild aus MARIENPLATZ (2020) - © Sandra Then
© Sandra Then

Abraham wird von der Polizei München festgenommen

In der ersten Szene wird von Abraham erzählt, der seinen Sohn Isaac Gott zum Opfer brachte. Während in der Bibel-Fassung Gott den Sohn rettete, verbrennt er in MARIENPLATZ qualvoll und der Fall wird von zwei Münchener Polizeibeamten untersucht. Bukowski bricht das furchtbare Thema mit humorvollen Passagen. Manchmal kam ich allerdings zwischen philosophischen Theorien von Giorgio Agamben und langen Ausführungen zum Sein oder Nichtsein nicht mehr ganz hinterher. Das war mir dann etwas zu verkopft gedacht. Nichtsdestotrotz gefiel mir das Stück sehr. Die Mischung aus selbstreferenziellem Humor und einem Fall, der keine klaren Antworten liefert, regte zum Nachdenken an.

Die Premiere des Stückes war eigentlich für den 19. Dezember 2020 im Marstall Theater geplant, doch aufgrund der Corona-Pandemie gab es eine Online-Premiere am 20.12.2020.

Trailer: © Residenztheater München

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