Jimmy’s Hall (OmU, 2014)

Es ist Sonntag. Der Pfarrer steht auf der Kanzel und liest die Namen aller Gemeindemitglieder vor, die am Vorabend in einer Scheune ausgelassen getanzt haben. Wir schreiben das Jahr 1932 und die Kirche dieses Pfarrers steht in der ländlichen irischen Grafschaft Leitrim. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Das sollte man zumindest meinen. Pfarrer Sheridan (Jim Norton) ist mehr als besorgt um das Seelenheil seiner Gemeinde und greift deshalb zu solch radikalen Mitteln. Sein „Gegner“ ist Jimmy Gralton (Barry Ward), der aus seinem amerikanischen Exil in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist. Auf Wunsch der Dorfjugend (u.a. Aisling Franciosi) eröffnet er die alte Scheune wieder, in der jeder willkommen ist und neben Gesangs- und Boxunterricht abends auch zu Irish Folk- und Jazzmusik getanzt wird. Der Pfarrer ist entsetzt, hat doch die Kirche seiner Meinung nach, das Vorrecht auf die Vermittlung von Bildung. Des Weiteren setzt sich Gralton für die Armen und Schwachen ein und kämpft gegen Großgrundbesitzer, die Häuser auf ihrem Land zwangsräumen und die Familien dann auf der Straße landen. Während der junge Pfarrer Seamus (Andrew Scott) auf Deskalation setzt, verunglipft Sheridan Jimmy als Kommunisten und Atheisten. Schließlich schaltet sich auch noch die Regierung ein und verweist Jimmy des Landes.

Filmstill aus JIMMY'S HALL - © Pandora Filmverleih
© Pandora Filmverleih
Der letzte Film von Ken Loach

Das soll’s also gewesen sein. Regisseur Ken Loach hatte vor den Dreharbeiten von JIMMY’S HALL geäußert, das dies vielleicht sein letzter Spielfilm sein könnte: „Mein Interesse ist unvermindert, allein das Alter stellt ein Problem dar. Man könnte sagen: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Mit seinen 78 Jahren ist er auch nicht mehr der Jüngste. Loachs Arbeiten stehen in der Tradition des Italienischen Neorealismus, – zumindest sagt das Wikipedia; wird schon stimmen – , der viel Wert auf eine möglichst realistische Darstellung der Ereignisse legt. Das merkt man auch JIMMY’S HALL an. Da schaukelt der Einspänner gemächlich durch die grünsten Wiesen und Felder von Irland. Wenn Oonagh (Simone Kirby) und Jimmy nachts in der Scheune tanzen, hört man zunächst nur die Schritte auf dem Holzboden. Insgesamt hält sich die Filmmusik in den romantisch angehauchten Momenten  vornehm zurück. Laut wird es dagegen in den Tanzszenen in der Scheune, wenn Jazz und Irish Folk gespielt wird. Diese feierwütigen Szenen sind manchmal etwas langatmig, sollte man mit der Musik nichts anfangen können.

Ein absolutes Meisterstück ist Loach mit der Auswahl seiner Schauspieler gelungen. Für Freunde der englischen BBC-Serie SHERLOCK ist Andrew Scott dabei, der zwar nur eine kleine Rolle hat, dafür aber wieder the-great-game-like laut wird. Auch Aileen Henry, die Jimmys Mutter spielt, ist einfach nur liebenswert und genau das, was man sich unter einer irischen Mutti vorstellt. Auch die restlichen Nebenrollen sind mit den besten und sympathischsten Schauspielern besetzt. Das schmälert die Darstellung von Barry Ward aber keineswegs, der den sympathischen wie charismatischen Hauptdarsteller gibt.  Zudem liefert er in einer packenden Ansprache auch eine Verbindung zum heutigen Irland. Er spricht davon, dass es eine Illusion sei, dass alle Iren vereint für das gleiche Ziel kämpfen würden. Haben ein Minenarbeiter und ein Graf das gleiche Ziel? Nein, sagt Gralton, es gehe immer nur um Macht und Besitz. An dieser Stelle zeichnet der Film einen Ausblick auf die hohe Staatsverschuldung von Irland und → seine Rolle in der europäischen Finanzkrise. Viele Details in der Geschichte werden nicht weiter erklärt, wie z.B. die Tatsache, dass Jimmy plötzlich Blut spuckt (Gralton litt an Magenkrebs), aber zum einen braucht es dieses Hintergrundwissen nicht um den Film zu verstehen und zum anderen lässt sich das dank → Wikipedia und Google recht schnell herausfinden.

Obwohl sich die Kirchenoberen gegen Spaß und Freude in der Gemeinde aussprechen, sorgen ausgerechnet sie für das Groteske im Film. Wenn beispielsweise der Pfarrer vor der Scheune steht und alle Personen aufschreiben lässt, welche die Scheune betreten, kann man nicht anders als lachen. Die zarte Liebesgeschichte zwischen Oonagh und Jimmy ist zu jedem Zeitpunkt glaubhaft ohne ins Kitschige abzudriften. Auch hier zeigt sich wieder das hervorragende Gespür für einen tollen Cast. Der Film wechselt zwischen Malunterricht und Handgemenge, zwischen Kampf für Machtverlust und Kampf für Machterhalt, hin- und her, ohne dabei langweilig oder langatmig zu werden. Der Film vermittelt eine animierende Atmosphäre. Man möchte mitmachen. Mittanzen und mitlachen.

Schöne Bilder, herausragende Schauspieler (5.5/6)

Trailer: © Pandora Filmverleih

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