Egal (2025)

„Ich habe schlechte Nachrichten. Ich war grade auf der Webseite vom Burgtheater und heute startet eigentlich der Kartenverkauf für April, aber es sind schon alle Tickets für den 21. April ausverkauft.“ „Was? Wie kann das denn schon ausverkauft sein?“ Mit diesem Telefonat Mitte März 2025 begann meine turbulente Kartenkauf-Geschichte, die erst fünf Tage vor der Veranstaltung endlich von Erfolg gekrönt war. Und dann saßen meine Begleitung und ich auch noch in der gleichen Reihe wie Robin Ormond, der zeitgleich in Wien war, weil er wohl zum dritten Mal DIE NACHT KURZ VOR DEN WÄLDERN inszenieren wird. Also dann doch Ende gut, alles gut? EGAL von Marius von Mayenburg beschäftigt sich mit dem Rollenverständnis der Geschlechter am Beispiel eines verheirateten Ehepaars. Simone (Caroline Peters) ist eine erfolgreiche Elektroingenieurin und gerade von ihrer Geschäftsreise zurückgekehrt. Sie hat für ihren Mann Erik (Michael Wächter) ein Geschenk mitgebracht, der als Übersetzer arbeitet und sich während ihrer Abwesenheit um Haushalt und Kinder kümmert. Erik zögert, das Päckchen zu öffnen. Was wäre, wenn Erik von einer Reise zurückkäme und Simone sich zu Hause um das Familienleben kümmerte? Ist es egal, wer von beiden welche Rolle in der Beziehung einnimmt?

Erik (Michael Wächter) und Simone (Caroline Peters) - © Monika Rittershaus
Erik (Michael Wächter) und Simone (Caroline Peters) – © Monika Rittershaus

Rasante Wortgefechte

Wenn dieser Abend schnell etwas klar macht, dann, dass Humor ein wichtiges Element ist. Mal glänzt EGAL durch subtilen Witz, dann überzeugt er mit herrlichen Slapstickmomenten. Ein Highlight ist die Szene, in der Erik Simone ein Glas Champagner reicht und durch geschicktes Abnehmen der Gläser letztendlich immer selbst den teuren Schaumwein genießt, während seine Frau leer ausgeht. Schallendes Gelächter aus dem Publikum. Aber EGAL gräbt tiefer. Unter der komödiantischen Oberfläche brodeln existenzielle Fragestellungen. Immer wieder brechen die Figuren aus ihren Rollen aus und wenden sich hilfesuchend direkt ans Publikum, versuchen ihre Position zu erklären, zu rechtfertigen. Über den Abend wechseln beide immer wieder die Rollen. Mal ist Simone die daheimgebliebene Übersetzerin, mal ist es Erik und dann wieder Simone.

Szenenbild aus EGAL - Burgtheater Wien - Simone (Caroline Peters) und Erik (Michael Wächter) - © Monika Rittershaus
Simone (Caroline Peters) und Erik (Michael Wächter) – © Monika Rittershaus

Er sagt, sie sagt

Damit man nicht so schnell das Gefühl hat, es handelnde sich einfach nur um eine abgewandelte Form von GROUNDHOG DAY wird die Geschichte immer wieder etwas angepasst und ergänzt. Während der zentrale Konflikt gleich bleibt, bekommt die Geschichte durch die unterschiedlichen Perspektiven zusätzliche Schichten. Auch das wiederholte Betonen, wie „egal“ etwas sei, entlarvt von Mayenburg als hohle Floskel. Die verpasste Aufstiegschance – egal! Sich um das Kind mit tagelangem Nasenbluten kümmern – egal! Die Frage, wer das Geld nachhause bringt – egal? All diese Dinge sind natürlich absolut nicht trivial oder egal. Auch die hohlen Floskeln, mit denen die Figuren einander zu beschwichtigen versuchen – „Ich mach das ja auch für dich“ oder „Wer weiß, wofür es gut ist“ – wirken zunehmend wie verzweifelte Versuche, die eigene Unzulänglichkeit zu kaschieren. Und auch wenn ein Großteil des Abends aus humorigen Passagen besteht, gibt es gegen Ende auch ernste Stellen. Als Simone von einem Jobangebot erzählt, meint Erik, sie solle das Angebot doch annehmen: „Verbieg dich bis du brichst.“

Szenenbild aus EGAL - Burgtheater Wien - Erik (Michael Wächter) und Simone (Caroline Peters) - © Monika Rittershaus
Erik (Michael Wächter) und Simone (Caroline Peters) – © Monika Rittershaus

Variationen eines Konflikts

Die Bühne von Lisa Däßler bietet den perfekten Raum für die Transformationen der beiden Figuren. Sie ist schlicht, aber wandlungsfähig. Auf der Bühne stehen zu Beginn klassische Gegenstände, die man in einem Haushalt einer langjährigen Partnerschaft erwarten würde. Ein Verlängerungskabel, einen Akkuschrauber, ein Sieb oder Kinderspielzeug. Diese werden den ganzen Abend über gewechselt und dem Spielpartner übergeben, um die Last des Haushalts auch noch einmal plakativ zu verdeutlichen. Die Inszenierung von Thomas Jonigk überzeugt durch ihr schnelles Tempo, das einen zu Beginn vielleicht etwas erschlägt. Auch die fließenden Rollenübergänge wirken gegen Ende etwas ermüdend, da auf den letzten Metern die Wiederholung etwas ihre Wirkung verliert. Eine klare Lösung bietet das Stück glücklicherweise nicht. Die Ernüchterung der beiden Figuren in der Schlussszene, nachdem sie alle Argumente aus dieser und jener Perspektive durch­ex­er­zie­rt haben, bietet gute Pro- und Kontra-Argumente weiter über das Beziehungsgefüge nachzudenken.

Szenenbild aus EGAL - Simone (Caroline Peters) und Erik (Michael Wächter) - © Monika Rittershaus
Simone (Caroline Peters) und Erik (Michael Wächter) – © Monika Rittershaus

Eine Traumbesetzung

Caroline Peters und Michael Wächter tanzen mit großer Spielfreude durch die verschiedenen Rollen und Identitäten. Immer wieder werfen sie sich die Beleidigungen, Anschuldigungen und Befindlichkeiten wie Bälle hin und her. Und es macht großen Spaß, den beiden zuzusehen. Daher ist zu erwarten, dass der Abend auch weiterhin ein Crowdpleaser bleiben wird. Er unterhält prächtig und regt gleichzeitig zum Nachdenken an. EGAL führt uns eindrucksvoll vor Augen, dass es eben nicht gleichgültig ist, wie wir unsere Beziehungen gestalten, welche Rollen wir einnehmen und wie wir miteinander kommunizieren. Wenn man bedenkt, wie schnell die Vorstellungen von EGAL ausverkauft sind, ist es offensichtlich: Dem Wiener Publikum ist diese brillante Inszenierung alles andere als egal.

Info für meine norddeutsche Leserschaft: Das Stück ist am 25. und 26. Juni 2025 auch im Rahmen des Hamburger Theater Festival zu sehen.

Gesehen am 21. April 2025 im Akademietheater in Wien

9/10

Bewertung: 9 von 10.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert