Der Preis des Menschen

Endlich geht es wieder los. Nach der trostlosen Sommerpause saß ich endlich mal wieder im Theater. Mit Maske und Sicherheitsabstand, aber immerhin überhaupt wieder im Theater. Gespielt wurde im Marstall DER PREIS DES MENSCHEN, eine Uraufführung, die lose auf dem Roman „Mistérios de Lisboa“ von Camilo Castelo Branco basiert. Angesiedelt ist die Geschichte im Frankreich zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Die Gräfin Angela de Lima (Juliane Köhler) flieht vor ihrem gewalttätigen Mann (Michael Goldberg) ins Kloster. Dort wartet die Novizin Francisca (Massiamy Diaby) darauf, dass der Abt Dinis (Steffen Höld) sich endlich zu ihr bekennt. Die verarmte Herzogin Elisa de Montfort (Barbara Horvath) begegnet unterdessen einem Sklavenhändler (Michael Wächter), mit dem sie einen Liebeshandel eingeht. Ihr Diener Pedro da Silva (Valentino Dalle Mura) wird von der aristokratischen Herrschaft nach Belieben als Liebespfand oder Eigentum reklamiert.

Szenenbild aus DER PREIS DES MENSCHEN - Residenztheater München 2020 - © Judith Buss
Michael Goldberg, Juliane Köhler, Michael Wächter, Barbara Horvath – © Judith Buss

Botschaft dringend gesucht!

Grundsätzlich ist es keine schlechte Idee in Zeiten von Corona über den Preis des Menschen nachzudenken. Der amerikanische Präsident opfert wissentlich über 200.000 seiner Einwohner einer tödlichen Krankheit. Das Flüchtlingslager in Moria brannte. In Deutschland entbrannten hingegen hitzige Diskussionen über systemrelevante Berufe. Welche Berufe braucht es denn wirklich um das System am laufen zu halten? Dieses Bewerten und Abwägen von menschlichem Leben hat unweigerlich auch mit Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen zu tun. Leider kratzt DER PREIS DES MENSCHEN von Thiemo Strutzenberger dabei nur an der Oberfläche. Alle Handlungsstränge verlaufen im Nichts und haben – bis auf eine Ausnahme – keine Konsequenzen für die Figuren. Es fehlt an einer Quintessenz, an einem Satz oder einer Idee, die nach dem Theaterbesuch hängen bleibt.

Szenenbild aus DER PREIS DES MENSCHEN - Residenztheater München 2020 - Der Sklavenhändler Alberto de Magalhaes (Michael Wächter) wirft mit Geld um sich. - © Judith Buss
Der Sklavenhändler Alberto de Magalhaes (Michael Wächter) wirft mit Geld um sich. – © Judith Buss

Vergleichsweise schwaches Schauspiel

Kennt ihr diesen Moment, wenn man dem/der Lieblingsschauspieler*in bei der Arbeit zuschaut und dann mit Wehmut feststellt, dass er oder sie aus unerfindlichen Gründen plötzlich nicht so überzeugend spielt wie sonst? Genauso ging es mir mit diesem Stück. Juliane Köhler, Barbara Horvath und Michael Wächter sind allesamt großartige Schauspieler. Leider konnten weder die drei noch die anderen Darsteller das auch zeigen. Vielleicht war die Laufzeit von 70 Minuten zu kurz um den Figuren die erforderliche Tiefe zu geben. Vielleicht war es der coronabedingte Sicherheitsabstand zwischen den Spielern, der alles so unnahbar wirken lies. Wächter, den meine Begleitung und ich inzwischen am Knöchel erkennen können, ist dabei noch einer der stärkeren Darsteller des Abends. Das liegt aber weniger an herausragendem Schauspiel, sondern schlichtweg daran, dass er den einzig ernstzunehmenden Antagonisten verkörpert (und ab und an kleinere Gags einstreute).

Gesehen am 12.10.2020 im Marstall München in Begleitung von → SingendeLehrerin.

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