Wer hätte gedacht, dass es so lange dauert bis der Held des gleichnamigen britischen Kinderbuchs endlich den Weg auf die große Leinwand findet? Denn trotz zweier britischer Animationsserien wurde der Paddington Bär nie verfilmt. Obwohl die Bücher von Michael Bond in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, hat es über 55 Jahre gebraucht, bis der Autor sein Einverständnis für eine Realverfilmung gab. Und die beginnt tragisch. Ein britischer Forscher entdeckt im dunkelsten Peru einen Bärenstamm, der sprechen kann. Er lebt eine Weile bei den Bären und verabschiedet sich schließlich mit den Worten, sie könnten ihn jederzeit in London besuchen. Jahre später zerstört ein Erdbeben das Bärenheim und ein junger Bär wird auf die große Reise geschickt. Er soll in London eine Familie finden. Als blinder Passagier übersteht der Bär mithilfe seines Notfallkoffers voller Marmelade die Überfahrt, wo er schließlich an der Paddington Station strandet. Dort entdeckt ihn die eloquente Mrs. Brown (Sally Hawkins) und nimmt den Bären, der fortan Paddington genannt wird, mit nach Hause. Während sich die beiden Kinder Judy (Madeleine Harris) und Jonathan (Samuel Joslin) schnell für den neuen Mitbewohner begeistern können, ist Familienoberhaupt und Risikoanalyst Mr. Brown (Hugh Bonneville) so gar nicht vom Neuzugang überzeugt und möchte ihn am liebsten abschieben. Doch als die fiese Tierpräperatorin Millicent (Nicole Kidman) auf den sprechenden Bären aufmerksam wird, muss die Familie zusammenrücken um ihren neu gewonnen Freund zu beschützen.
Bär auf Reisen
„Long ago, people in England sent their children by train with labels around their necks, so they could be taken care of by complete strangers in the country side where it was safe. They will not have forgotten how to treat strangers.“ Paddington ist ein moderner Flüchtling (→ interessanter Artikel: „Paddington Bär als illegaler Einwanderer„). Er reist als blinder Passagier vom dunkelsten Peru nach London, weil sein Zuhause zerstört, sein Onkel Pastuzo (Stimme von Michael Gambon) tot und seine Tante Lucy (Stimme von Imelda Staunton) zu alt ist um sich um ihn zu kümmern. Ein Wirtschaftsflüchtling also. Und gerade hier merkt man, wenn man regelmäßig Nachrichten sieht, dass die über 55 Jahre alte Geschichte nichts an ihrer Aktualität eingebüst hat. Der Film kann daher ein guter Aufhänger für Eltern sein ihren Kindern die aktuelle Flüchtlingsproblematik zu erklären und ins Gespräch zu kommen.
Auch für Erwachsene bietet der Film zahlreiches Anschauungsmaterial. Zum einen beinhaltet der Film häufig filmmusikalische Referenzen wie z.B. das MISSION IMPOSSIBLE-Thema oder „Born to be wild“. Auch die naive und gutgläubige Art von Paddington legt das Augenmerk auf die kleinen Dinge des Alltags, die einem Erwachsenen wahrscheinlich entgehen. Als Paddington eine Rolltreppe benutzen will, hat er zunächst Angst. Als er aber liest, dass man Hunde tragen muss, schließt er daraus, dass man immer einen Hund dabei haben muss um eine Rolltreppe zu benutzen. Nachdem er sich kurzerhand einen Hund ausgeborgt hat, traut er sich mit dem Hund im Arm auch die Rolltreppe zu benutzen. Auf einem weiteren Schild liest er „Stand on the right“, was ihn schließlich dazu verleitet auf dem rechten Bein stehend die Fahrt fortzusetzen. Diese kleinen Missverständnisse machen Paddington zu einem liebenswerten und sympathischen Charakter. Zu loben sind auch die Kostüme und das Setdesign. Gerade das Haus der Browns strahlt eine Wohligkeit aus, dass man am liebsten gleich selbst dort einziehen möchte. Auch das Interieur der Geografen-Gilde mit seinem verzweigten Rohrpost-System machen optisch gute Laune.
Die Neubesetzung mit Ben Whishaws Stimme war eine gute Entscheidung. Ursprünglich sollte Colin Firth dem Bären die Stimme leihen, zog sich dann aber zurück, als er zusammen mit dem Regisseur beschloss Paddington müsse eine jüngere Stimme bekommen. Und wenn man sich jetzt Whishaws Stimme anhört, würde man nie auf die Idee kommen, dass eine andere Stimme besser passen könnte. Die Unbefangenheit, Neugierde und Abenteuerlust kann er gut transportieren. Die Familie Brown hat mit Hugh Bonneville auch einen fantastischen und herrlich britischen Hausherrn gefunden. Bonneville ist übrigens auch ein fantastischer Geschichtenerzähler (→ Schauspieler lesen Paddington). Nicole Kidman kennt man nicht erst seit THE GOLDEN COMPASS als fiese Verbrecherin. Auch wenn das Motiv ihres Handelns etwas arg an den Haaren herbeigezogen ist, verkauft es Kidman gut. Als grantelnder Nachbar Mr. Curry verbündet sich schließlich „Doctor“ Peter Capaldi mit ihr, der nicht nur im altbackenen Pollunder und übertrieben schicken Anzug mit Nelke im Knopfloch für einige Lacher sorgt. Hervorzuheben ist die Leistung der Animatoren, die das Fell und die Augen von Paddington wirklich extrem lebensecht gestaltet haben. Natürlich sieht man dem Bären an, dass er animiert ist, aber das stört zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr verdeutlicht es den Fremdkörper-Faktor, der Paddington zu Beginn noch darstellt.
Häufig ist PADDINGTON etwas sehr touristisch. In aller Schönheit wird die Tower-Bridge, der Buckingham Palace (→ einschließlich hilfsbereiter Guards) und das Londoner Stadtbild wie die U-Bahn und Doppeldeckerbusse in Szene gesetzt. Manchmal wirkt es zu gewollt, auf der anderen Seite ist Paddington natürlich erst einmal beeindruckt von London. Das Staunen über die große Stadt, die für das komplette Gegenteil seiner Dschungelbehausung steht, ist daher dann doch irgendwie berechtigt. Passend dazu gab es zum Kinostart in London auch den „Paddington Trail“ (→ Video von der Eröffnung): Im gesamten Stadtgebiet wurden Paddington-Figuren aufgestellt, die von Prominenten gestaltet wurden. Viele davon wurden am Ende für einen guten Zweck für insgesamt über 930.000 Pfund versteigert. Die kleinen Logiklöcher mag man dem Film daher schnell verzeihen. PADDINGTON ist ein zauberhafter Film für Jung und Alt.
Einfach nur schön (5.5/6)
Trailer: © Studiocanal Germany
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