Rocketman (O, 2019)

Ich habe mit gemischten Gefühlen den ersten Trailer zu ROCKETMAN gesehen. Schon wieder ein Biopic. Schon wieder über einen berühmten Musiker. Gefühlsmäßig bekommt momentan so ziemlich jeder Künstler sein eigenes Biopic und spätestens seit dem finanziellen Erfolg von BOHEMIAN RHAPSODY dürfte der Filmbranche klar geworden sein, dass gut gemachte Musiker-Biopics nicht mehr das Kassengift sind, als das sie lange galten. Nun erzählt ROCKETMAN über die Jugend von Reginald Dwight (Taron Egerton). Der wächst Mitte der 60er in einem Vorort von London auf und hat außergewöhnliches Talent für Musik. Als er nach London zieht und beginnt mit dem Texter Bernie Taupin (Jamie Bell) zusammenzuarbeiten, macht er bereits auf sich aufmerksam, doch der große Erfolg bleibt noch aus. Als sich Reginald in „Elton John“ umbenennt, beginnt für ihn schließlich der Aufstieg. Er wird einer der schillerndsten Figuren der britischen Unterhaltungsindustrie und fällt besonders durch auffällige Kostüme auf. Doch durch den Aufstieg zieht er auch zwielichtige Charaktere wie den Musikmanager John Reid (Richard Madden) an. Der wird zunächst Johns Liebhaber, lässt sich später aber von ihm aushalten und hat vor den Augen von Elton andere Liebhaber. Seinen Schmerz betäubt Elton zunehmend mit Drogen und Alkohol.

Szenenbild aus ROCKETMAN (2019) - Bernie (Jamie Bell) und Elton (Taron Egerton) - © Paramount Pictures
Bernie (Jamie Bell) und Elton (Taron Egerton) – © Paramount Pictures

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ROCKETMAN findet eine passende Allegorie für das Erzählen der Geschichte. Der Film beginnt mit der Filmversion von Elton John, der im Glitzerbühnenkostüm eine Gruppentherapie-Sitzung stört. Von der Therapeutin auf seine Kindheit angesprochen, beginnt Elton seine Transformation. Er nimmt sein Kostüm Stück für Stück auseinander, solange bis er am Ende im Bademantel auf seinem Stuhl sitzt. Ich finde, das ist ein schönes Bild und ein toller roter Faden, der sich da durch den Film zieht. Für ein Biopic, dass sicher auch auf die ein oder andere goldene Statue scharf ist, ist der Film sehr freizügig. Es gibt eine explizite gleichgeschlechtliche Sexszene, die z.B. in Russland aufgrund eines Erlasses von 2013 gegen → „homosexuelle Propaganda“ zensiert wurde. In der russischen Version fehlen auch Darstellungen vom Drogenkonsum. Die Sexualität und der Drogenkonsum sind aber derart wichtige Punkte in Johns Biografie, dass man sich echt fragen könnte, warum man nicht gleich den ganzen Film in Russland verbietet. Dennoch muss man das Filmstudio loben, dass sie das überhaupt in den Film eingebaut haben. Kleiner Funfact übrigens noch zur Altersfreigabe. In den USA darf man den Film erst ab 17 Jahren schauen, in Deutschland bereits schon ab 12. Ich schimpfe ja gerne mal über die überzogenen deutschen Altersfreigaben, aber diese hier ist mir mal positiv aufgefallen.

Szenenbild aus ROCKETMAN (2019) - Elton (Taron Egerton) lernt John Reid (Richard Madden) kennen. - © Paramount Pictures
Elton (Taron Egerton) lernt John Reid (Richard Madden) kennen. – © Paramount Pictures

Taron Egerton in Höchstform

Auch wenn Elton John selbst zunächst lieber Justin Timberlake in der Rolle gesehen hätte, ist Taron Egerton sicherlich die bessere Wahl gewesen. Ohnehin hatte Egerton in den letzten Jahren ein paar Berührungspunkte mit der Person, die er nun darstellt. Im Animationsfilm SING sang bereits Egerton den Musikklassiker „I’m still standing“. Im Actionfilm KINGSMAN: THE GOLDEN CIRCLE retten die Agenten Elton John aus den Fängen einer Drogenbaronin. In ROCKETMAN reißt sich Egerton abermals den Allerwertesten auf. Die Anstrengung und das Können, dass in dieser Interpretation steckt, sieht man. Die Schweißperlen, der Frust, die Begeisterung –  jede Gefühlsregung wird nicht nur schauspielerisch, sondern auch musikalisch – er singt alle Lieder selbst – und tänzerisch von Egerton bravurös umgesetzt. Ich mache mir ein bißchen Sorgen, dass Egerton bei der nächsten Awardseason vergessen wird. Potenzielle Oscaranwärter laufen in der Regel im Herbst/Winter des Vorjahres an und da fällt ROCKETMAN schon ein bißchen aus der Reihe. Verdient hätte er aber durchaus die ein oder andere Nominierung.

Szenenbild aus ROCKETMAN (2019) - Elton John (Taron Egerton) - © Paramount Pictures
Elton John (Taron Egerton) – © Paramount Pictures

Nicht ganz historisch genau

ROCKETMAN ist keine historisch genaue Nacherzählung. Nachdem Elton John aber als Executive Producer am Film beteiligt war, ist auch nicht alles komplett erlogen. (Wer mehr zu den historischen Fakten wissen möchte, sei abermals auf die Seite → History vs. Hollywood verwiesen.) Elton John sah den Film auch eher als Interpretation des Geschehenen und hat Taron Egerton genügend Spielraum für Experimente gelassen. Hervorzuheben muss man auch die grandiosen Kostüme von Julian Day, die den Originalen sehr ähnlich sehen, aber doch ihren eigenen Touch haben. Auch hier merkt man wieder, dass es mehr um eine eigene Interpretation geht und nicht darum die Geschichte 1:1 nachzuerzählen. Die Lieder von Elton John haben alle einen neuen Anstrich bekommen und klingen teilweise ganz anders, machen aber genauso viel Laune. Mitwippen und/oder mitsingen kann man im Kino ja ungestört. Punktabzug gibt es etwas bei der Darstellung von Nebendarstellern. Während Elton John ziemlich ausführlich charakterisiert wird, sind die Nebenrollen alle relativ eindimensional. Bernie ist „der Gute“, John ist „der Böse“, die Mutter ist „die Ungeliebte“. Jede Nebenfigur könnte man mit einem Adjektiv beschreiben und damit wäre alles gesagt. Hier hatte ich das Gefühl, dass man ein bißchen zu nachlässig beim Storytelling war. Das tut aber dem Filmerlebnis keinen großen Abbruch.

5/6 bzw. 8/10

Trailer: © Paramound Pictures Deutschland

3 thoughts on “Rocketman (O, 2019)

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