Alle Welt feiert in diesem Jahr den 450. Geburtstag von William Shakespeare. So kommt es nicht von ungefähr, dass derzeit landauf landab der englische Lyriker und seine Stücke aufgeführt und gefeiert werden, natürlich auch in seiner Heimat England. Das National Theatre bringt deshalb nun im Rahmen von „NT Live“ King Lear in die deutschen Kinos. Wie in so ziemlich jedem Shakespeare-Stück geht es darin um das Scheitern eines zunächst erfolgreichen Anführers, in diesem Fall King Lear (Simon Russell Beale). Er möchte aufgrund seines hohen Alters seine Nachfolge regeln und sein Land aufteilen. Zur Auswahl stehen seine drei Töchter: Goneril (Kate Fleetwood), Regan (Anna Maxwell Martin) und Cordelia (Olivia Vinall). Alle drei sollen ihm ihre Liebe beweisen. Reagan und Goneril schmieren ihrem alten Herrn mit geheuchelten Liebesbekundungen Honig ums Maul, während Lears Lieblingstochter Cordelia als Einzige ehrlich antwortet und erklärt, sie liebe ihren Vater eben so, wie man einen Vater eben liebe, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Erbost über diese Aussage enterbt der König Cordelia und teilt das Land unter den zwei Schwestern auf. Cordelia lebt fortan in Frankreich. Der Graf von Kent (Stanley Townsend), der das Verhalten des Königs verurteilt, wird kurzerhand verbannt. Von den beiden verbliebenen Töchtern verlangt Lear als Gegenleistung nur, ihm seinen Ruhestand zu finanzieren und einhundert Ritter zu seinem Schutz zu stellen. Doch beide Schwestern verweigern ihrem Vater die Unterstützung und so zieht er mit wenigen Anhängern hinaus in die Wildnis, wo er schließlich dem Wahnsinn verfällt.
Von der Uniform in die Zwangsjacke
SKYFALL-Regisseur Sam Mendes inzeniert das Stück weder spartanisch noch besonders opulent. Die Szenenübergänge bilden meistens Projektionen von Wolken, die den Sturm symbolisieren sollen, in dem sich der König später verlaufen wird. Auch bedrohliche Geigenmusik wird besonders in der ersten Hälfte gespielt, die auf die Dauer aber wirklich nervig wird. Die Schauspieler tragen in der Regel normale Kleidung, der König trägt keine Krone. Was ein Nachteil sein könnte, stellt sich aber immer mehr als Vorteil heraus. Dadurch dass man nicht von „bling bling“ und den Kostümen abgelenkt wird, bekommt der Zuschauer einen größeren Interpretationsspielraum. Die Geschichte wirkt daher mehr in der Jetztzeit verortet; als würde die Handlung in einer reichen Familie spielen. Als beide Töchter ihren Vater verstoßen, ist der Gedanke „Opa muss dringend ins Heim“ nicht weit. Der auch eher neuzeitliche Ansatz, dass Lear unter Demenz litt, wird von Hauptdarsteller Simon Russell Beale gut umgesetzt. Er spielt den Wandel vom cholerischen Herrscher zum verwirrten Rießenbaby wirklich gut, auch wenn das anfängliche Rumgebrülle etwas übertrieben wirkt.
Starke zweite Hälfte
In der zweiten Hälfte dreht er richtig auf und füttert eine halluzinierte Maus mit einem Stückchen Banane, weil er es für Käse hält. Spätestens als er nur noch mit Unterwäsche bekleidet auf der Bühne steht, muss man Mitleid mit dem Mann haben, der seine anfängliche Entscheidung der Erbfolge schnell bedauert. Seine verstoßene Tochter Cordelia schickt schließlich eine Ärztin zu ihrem Vater, die ihn in eine Zwangsjacke steckt und ihm Beruhigungsmittel verabreicht. Ein trauriges Bild. Aber nicht das Einzige. Besonders die blutigen und besonders gewalttätigen Szenen bleiben natürlich in Erinnerung. Den Earl of Gloucester (Stephan Boxer) trifft es besonders hart. Erst eine Runde Waterboarding, gefolgt von einer schmerzhaften Augenentfernung. Auch hier fallen einem relativ aktuelle Stichworte wie „Quantanamo“ oder „Abu Ghraib“ ein. Die beiden durchtriebenen Schwestern werden glaubhaft von Kate Fleetwood und Anna Maxwell Martin dargestellt. Sie würden alles tun um ihren bisherigen Lebensstandard zu halten bzw. zu verbessern. Dafür benutzen sie meistens die Männer in ihrem Umfeld und manipulieren, was das Zeug hält. Aber es wäre ja nicht Shakespeare, wenn sie damit durchkämen.
In schauspielerischer Hinsicht kann man dem Stück nichts vorwerfen. Der Umsetzung dagegen schon einiges. Die Kameraperspektiven waren teilweise echt komisch. An einer Stelle hat der zuständige Kameramann auch einfach gepennt und als er seinen Fehler bemerkt hat, die Kamera ruckartig auf das Geschehen geschwenkt.
Lieber schonmal auf „The Curious Incident“ vorfreuen (3.5/6)
Trailer: © NT Live