Lulu

Diese “Resi-ruft-an”-Aktion während der Corona-Zeit war schon was Tolles. Da wurde man von Schauspielenden angerufen und bekam einen Text vorgelesen. Meine allerletzte Anruferin war Charlotte Schwab, bei der ich mich auch gleich für LULU bedankte und mein Bedauern äußerte, dass ich das Stück aufgrund von Corona kein zweites Mal anschauen konnte. “Das läuft demnächst nochmal im Residenztheater. Kommen Sie vorbei!” tönte es aus der Leitung. Und so saß ich dann Mitte Juli mit 199 anderen Besuchern im Residenztheater. Lulu (Charlotte Schwab, Liliane Amuat, Juliane Köhler) wird in jungen Jahren verheiratet. Doch in ihrer Ehe ist sie nicht glücklich und flüchtet sich in Affären. Für ihre Affären wird Lulu zur unnahbaren Projektionsfläche. Reihenweise treibt sie diese in den Tod.

Szenenbild aus LULU  von Bastian Kraft - Residenztheater - © Birgit Hupfeld
Liliane Amuat und Charlotte Schwab auf der Bühne und auf der Leinwand – © Birgit Hupfeld

Wer ist hier das Monster?

Der Hauptgrund für einen zweiten Besuch im Theater war die inhaltliche Dichte, die beim ersten Mal gar nicht komplett zu erfassen ist. Zumindest nicht nach einem Achteinhalb-Stunden-Arbeitstag im Büro. Die sogenannte Monstretragödie des Dramatikers Frank Wedekind wurde aufgrund von Zensur zu dessen Lebzeiten (1864-1918) nie in München gezeigt. Die Neufassung von Bastian Kraft spielt zwar zu Beginn auf die Vorlage an, ist aber auch für Nichtkenner des Stoffs gut zu verstehen. Wie bei einer Modenschau kommen die drei Schauspielerinnen, die sich die Rolle von Lulu teilen, zu Beginn herein. “Ich werde mich heute nicht ausziehen“ erklärt Lulu aber schon direkt zu Beginn. Es stehe dem Zuschauer aber frei, sich sie nackt vorzustellen. Im Laufe des Abends stellt LULU immer wieder die Schuldfrage. Ist Lulu Schuld am Tod ihrer Liebhaber? Ist sie wirklich das Monster für das sie alle halten?

Szenenbild aus LULU - Schattenspiele auf der Bühne - © Birgit Hupfeld
Schattenspiele auf der Bühne – © Birgit Hupfeld

Multimediales Bühnenbild

Das Bühnenbild ist mir persönlich häufig nicht wirklich wichtig. Und auch in LULU wirken die neun weißen Paneelen, die im Hintergrund stehen, erst einmal unscheinbar. Sie werden aber im wahrsten Sinne des Wortes zur Projektionsfläche, was natürlich fantastisch zur Geschichte der Protagonistin passt. Die Kombination aus Bühne (Peter Baur) und Videoprojektion (Kevin Graber) macht ordentlich was her. Zu Beginn wirkt es alles noch wie ein altbackenes Schattenspiel, doch bald merkt man, dass hier live eingespielte Schatten auf bereits vorproduzierte Schatten treffen, sodass am Ende mehr Protagonisten auf der Leinwand zu sehen sind, als tatsächlich auf der Bühne stehen. Es macht große Lust diese Übergänge zu entdecken. Charlotte Schwab, Liliane Amuat und Juliane Köhler spielen ihre Rollen grandios. Sie trösten auch etwas über das leicht schwächelnde dritte Drittel hinweg, bei dem ich mir ein bißchen mehr Schwung gewünscht hätte.

Szenenbild aus LULU - Residenztheater München - © Birgit Hupfeld
Nous sommes Lolita… Charlotte Schwab, Liliane Amuat und Juliane Köhler – © Birgit Hupfeld

Von Frauen, die Männer spielen

Durch die Dreiteilung von LULU und die pure Abwesenheit von männlichen Schauspielern müssen auch hier wieder Charlotte Schwab, Liliane Amuat und Juliane Köhler ran. Sie spielen neben der ohnehin schon fordernden Titelrolle auch gleich noch die Ehemänner und Affären von Lulu mit. Ein androgynes Äußeres und vorproduzierte Teile in phänomenaler Maske (Christian Augustin und Lena Kostka) machen es möglich. Einen grandiosen Querschnitt aller dieser Rollen ist im zweiten Drittel anhand eines Musikvideos zu sehen. Hier tanzen und singen alle drei Schauspielerinnen in unterschiedlichsten Figuren zum French-Pop-Song „Moi… Lolita!“ von Alizee. Auch hier merkt man, dass sich das Stück an vielen Stellen nicht besonders ernst nimmt. Als Lulu darüber nachdenkt, ihre Geschichte festzuhalten, kommt sie zu der Erkenntnis, dass ein Mann gar nicht ihre Geschichte erzählen könne. Im Hinblick darauf, dass sowohl Wedekind als auch Kraft Männer sind, ist das schon ein Meta-Witz in sich selbst.

Gesehen im 03.02.2020 im Cuveillestheater und 18.07.2020 im Residenztheater München

Trailer: © Residenztheater

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