Große Überraschung! Das deutsche Genrekino lebt. Zwar liegt es auf der Intensivstation und muss zwangsbeatmet werden, aber immerhin, es lebt noch. Und entgegen dem üblichen Am-Publikumsgeschmack-vorbei-Produzieren kommt der Film auch noch → gut bei eben diesem an. Den jugendlichen wie finanzkräftigen Kinozuschauern liegt das Thema wohl am Herzen. Und wo in letzter Zeit „Elyas M’Barek“ draufsteht, herrscht sowieso Kreischalarm bei der weiblichen Zuschauerschaft. Worum geht es also? Der unscheinbare Benjamin Engel (Tom Schilling) hat keine Freunde. Verliebt ist er insgeheim in die Studentin Marie (Hannah Herzsprung), doch die würdigt ihn keines Blickes. Am Computer macht ihm aber keiner etwas vor, denn er kann die Maschinensprache lesen. Er trifft durch Zufall den charismatischen Max (Elyas M’Barek), der ihn seinen Hacker-Freunden Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Paul (Antoine Monot Jr.) vorstellt. Kurzerhand wird Benjamin Teil der Gruppe, die sich fortan CLAY – Abkürzung für Clowns laughing @ you – nennt. Mit Clownsmasken verkleidet brechen sie in Regierungsgebäude ein und stehlen wertvolle Informationen. Alles ist zunächst ein großer Spaß, aber dann wird ein Mitglied einer anderen Hackergruppe tot im Wald gefunden. Angst erfasst die Gruppe. Plötzlich werden sie vom BKA und Europol in Person von Hanne Lindberg (Trine Dyrholm) gejagt und aus Spaß wird plötzlich Ernst.
Social Engineering oder: Eine Null unter Einsen
Der Film beginnt mit einem drastischen Bild. Aus dem Off schildert die Stimme von Tom Schilling aus der Ich-Perspektive die Erfahrungen des Hackers Benjamin. Dieser betritt ein Hotelzimmer. Auf dem Boden liegt ein lebloser Körper in einer Blutlache, einer im Schlafzimmer und einer in der Badewanne. Das Blut tropft den Arm entlang. Es muss gerade erst passiert sein. Benjamin gerät in Panik. „Ich bin kein Niemand mehr. Ich bin einer der meistgesuchten Hacker der Welt.“ sagt er. Und dann sitzt er schon der Europol-Agentin Lindberg gegenüber, die wissen will, wie es nur soweit kommen konnte. Benjamin erzählt fortan in zahlreichen Rückblenden seinen Aufstieg vom unbeachteten Nerd zum Teil des Hackerkollektivs CLAY. Dabei gibt sich der Film alle Mühe sowohl die Nerds als auch das fachfremde Publikum zu begeistern. Dies geschieht häufig beiläufig („Die Jungs sind wie Windows; dauert ne Weile bis die hochfahren.“) und bezieht sich auf Erfahrungswerte des Zuschauers (Phishing, Fotos oder Videos von süßen Tierbabys, Hackerkollektiv Anonymous…). Auch Insidergags wie beispielsweise der Titel, der sowohl ein Eingabebefehl ist, um in einem Mehrbenutzersystem die eigene Nutzeridentität anzeigen zu lassen, als auch die Frage „Wer bin ich?“, oder die im Film durchgeführte Manipulation eines Radiogewinnspiels, welcher → auf dem realen Fall des amerikanischen Hackers Kevin Poulsen basiert. Zudem wird auch visuell das Gesagte noch einmal verdeutlicht, z.B. ein Datenpaket mit einem Geschenk oder ein Trojaner mit einer Figur des trojanischen Perdes. Stilistisch steht WHO AM I gängigen Thrillern dieser Art in nichts nach und kann sich durchaus mit der internationalen Konkurrenz messen. Schnelle Schnitte verbunden mit dem Elektro-Soundtrack sorgen für Spannung und gute Laune. Auch ein Bild für das Internet und den virtuellen Raum wurde gefunden. Während er bei INSIDE WIKILEAKS als Großraumbüro dargestellt wurde, wird bei WHO AM I ein U-Bahn-Wagon dafür benutzt. Besonders gelungen (in Sachen Kameraarbeit) ist die Szene, in der sich Benjamin auf der Toilette eines Clubs Ritalin einwirft. Die Kamera filmt in den Spiegel und trinkt Benjamin dort aus einer Flasche, ist diese Flasche auch im Bild zu sehen.
„CLAY – da kann man viel reininterpretieren.“ sagt Max. In den Film lässt sich auch so einiges reininterpretieren. Das FIGHT CLUB-Poster an der Wand hängt da nicht zufällig. WHO AM I und FIGHT CLUB verhandeln beide Fragen der Identität. Und beide Filme sind Mindgame-Filme; sie spielen mit der Wahrnehmung des Zuschauers. Mehrfach werden auch Superheldengeschichten zitiert. Tom Schilling überzeugt als Benjamin über alle Maßen und beweist, dass er zu Recht zu Deutschlands besten Jungschauspielern gehört. Elyas M’Bareks Spiel wirkt manchmal etwas zu gekünstelt und übertrieben. Erst zur Filmmitte normalisiert sich sein Spiel und man nimmt ihm die Rolle ab. Antoine Monot Jr. , die deutschsprachige Antwort auf Zach Galifikanakis, verkörpert das schlechte Gewissen auf zwei Beinen, bleibt innerhalb der Gruppe aber etwas zurückhaltend. Eines der Highlights dieses Films ist definitiv Wotan Wilke Möhrings „Drogentanz“, wo er leicht bekleidet im roten Schlüpper durch die Wohnung hüpft. Der Dänin Trine Dyrholm merkt man ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache überhaupt nicht an. Durch Mimik und Gestik vermittelt sie stets ein Gefühl von Selbstbesherrschung, die allerdings im Laufe des Interviews bröckelt.
Große Schwierigkeiten macht die Figur der Marie (Hannah Herzsprung), die mal als unwichtige wie unerreichbare Liebelei, mal als wichtiges Puzzlestück für das große Ganze erscheint. So ganz mochte sich Regisseur und Drehbuchautor Baran bo Odar nicht entscheiden, wie er die Rolle anlegen möchte. Auch das Handeln von Lindberg wird rückwirkend nur mit einem Satz legitimiert, was ebenfalls etwas schwach ist. Der zweifache Wendepunkt am Ende des Films wirkt etwas zu gewollt, sorgt aber andererseits auch nochmal für ordentlich Stimmung. Angesichts der starken Popularität und Erfolg an den Kinokassen ist es durchaus möglich, dass ein zweiter Teil in die deutschen Kinos kommt. In → Tom Schillings Vertrag wurde eine solche Klausel schon eingearbeitet.
Erfrischend anders (5/6)
© 2014 Sony Pictures Germany
Gute Kritik!
Dankeschön! 🙂