Zu erklären, wie das Theaterstück UND ODER ODER… von Nele Stuhler funktioniert, ist gar nicht so leicht. Es ist ein experimentelles Theaterstück, das die Natur von Gegensätzen auf ganz ungewöhnliche Weise erforscht. Etwas ist „da“, dann ist es schon wieder „weg“. Stuhler hat in Zusammenarbeit mit Regisseur FX Mayr eine Komödie erschaffen, die sich als Wortpartitur entfaltet. Das Stück bewegt sich von grundlegenden Gegensatzpaaren wie „Ja – Nein“ zu komplexeren, zeitgenössischen Themen. Die Performance spannt einen weiten Bogen von alltäglichen Entscheidungen bis hin zu gravierenden Fragen wie „Krieg oder nicht“. Dabei wird das Publikum aufgefordert über die Grenzen binären Denkens hinauszugehen.
Experimentelle Arbeit
Bereits der sperrige, überlange Titel UND ODER ODER ODER ODER UND UND BEZIEHUNGSWEISE UND ODER BEZIEHUNGSWEISE ODER UND BEZIEHUNGSWEISE EINFACH UND (2014) gibt schon einen Vorgeschmack auf den experimentellen Charakter des Stücks. Ein Faible für wortgewaltige Monologe ist von Vorteil um den Abend vollends genießen zu können. Man darf hier auf keinen Fall eine chronologische Handlung mit Anfang, Mittelteil und Schluss erwarten. Das Stück gleicht eher einem Versuchsaufbau. Die komische und in Teilen auch musikalische Gestaltung der Wortreihen ist interessant. Eine klare Botschaft hat der Abend nicht. Auch der roten Faden ist so dünn, dass man ihn fast nicht erkennt. Die gegensätzlichen Wortpaare sind gleichermaßen die Stärke als auch die Schwäche des Stücks. Einerseits bieten sie eine einzigartige Perspektive auf die Komplexität menschlicher Kommunikation, andererseits kann dieses Hin und Her auf Dauer ermüdend wirken. Die Konzentration des Publikums wird immer mal wieder auf die Probe gestellt.
Die und die
Das farbenfroh gestaltete Bühnenbild von Korbinian Schmidt unterstützt die lebendige Atmosphäre des Stücks und bietet einen passenden Rahmen für die wortgewaltige Performance. Im Bühnenbild befindet sich auch eine Lautsprecherbox, die teilweise auch ein Eigenleben entwickelt und z.B. von den Spielenden verlangt, sie sollen „Weiter“ machen. Die Spielenden antworten natürlich mit „Stopp“. Der Gegensatz muss schließlich herausgearbeitet werden. Pia Händler, Myriam Schröder und Robert Dölle haben dabei keine festen Rollen, sondern sind je nach Situation Gegner oder Befürworter. Besonders hervorzuheben ist Pia Händler, der die wortreichen Monologe und Wortkolonnen scheinbar mühelos und ohne Verhaspler von den Lippen gehen. Myriam Schröder und Robert Dölle stehen ihr in ihren Darbietungen aber kaum nach.
Zwischen den Extremen
Ich habe mich bei diesem Abend immer wieder an Diskussionen auf Social Media Plattformen erinnert gefühlt. Da sind die einen, die etwas befürworten, diejenigen, die etwas dagegen haben und diejenigen, die einfach nur trollen. Ein ständiges Hin und Her zwischen verschiedenen Standpunkten, bei dem mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand gewinnt. UND ODER ODER bietet ein ungewöhnliches, wenn auch nicht immer leicht zugängliches Theatererlebnis. Trotz seiner Herausforderungen gelingt es dem Stück, das menschliche Bedürfnis nach ständiger Einordnung und Kategorisierung auf interessante Weise zu hinterfragen. Das Stück überzeugt mit Originalität und starken schauspielerische Leistungen, verliert aber aufgrund seiner experimentellen Natur und fehlenden klaren Struktur etwas an Schwung. Es ist aber definitiv einen Besuch wert, insbesondere für Theaterliebhaber, die offen für unkonventionelle Interpretationsformen sind.
Gesehen am 03. Juni 2024 im Marstalltheater / Residenztheater. UND ODER ODER ODER ODER UND… läuft aktuell noch im Residenztheater München. Tickets gibt’s →hier.
7.5/10