Die Faszination für das Rodeo-Reiten habe ich nie ganz verstanden – und das, obwohl ich ein Bauernhofkind bin. Ich habe viel zu viel Respekt vor den Tieren und vor dem, was alles schief gehen könnte, als dass ich mich auf so eine waghalsige Aktion einlassen würde. Für 8 Sekunden Ruhm – das wäre es mir nicht wert. Brady Blackburn (Brady Jandreau) denkt darüber sicher anders. Er ist ein talentierter Cowboy und passionierter Rodeo-Reiter. Nach einem schweren Unfall, bei dem er am Kopf verletzt wurde, muss er sich damit abfinden, wohl nie wieder reiten zu können. Die Umstellung gelingt nur schwer. Immer wieder wird er von seinen Freunden oder von Fans darauf angesprochen, wann er wieder zurück auf’s Pferd steigt. Entgegen des Rats der Ärzte beginnt Brady wieder mit dem Abrichten von Tieren. Doch sein Körper sträubt sich. Manchmal kann er seine Hand nicht richtig bewegen. Bemitleidet werden will Brady aber nicht – ganz besonders nicht von seinem Vater Wayne (Tim Jandreau). Und so sehnt sich Brady weiterhin nach dem Reiten. Immer öfter besucht er seinen Freund Lane (Lane Scott), der seit einem Rodeo-Unfall im Rollstuhl sitzt.
Der verletzliche Cowboy
Als die Credits liefen, musste ich an Newt Scamander denken. Genauer gesagt an den Youtube-Essay → “The Fantastic Masculinity of Newt Scamander. Darin wurde betont, dass Newt eine sensible Männerfigur ist und nichts mit dem machohaften “Ich bin der Boss”-Getue zu tun hat, das man sonst auf der großen Leinwand sieht. Genauso ging es mir bei Brady. Man spürt die Liebe zu seinen Pferden, die natürlich ein bißchen weniger aufregend, aber nicht weniger gefährlich ist, als die magischen Kreaturen von Scamander. Regisseurin Chloé Zhao hinterfragt in THE RIDER aber nicht nur die Ideale von Männlichkeit, sondern porträtiert einen jungen Mann, der auf der Suche nach dem Sinn seiner Existenz ist. Ihm wird seine Passion genommen. Und jeden Tag auf’s Neue wird er daran erinnert, was es natürlich doppelt schwer macht. Besonders gelungen finde ich eine Szene gegen Ende des Films: Brady entschließt sich gegen den Rat seiner Ärzte wieder Rodeo zu reiten. Sein Vater warnt ihn vor den Folgen, doch Brady packt trotzdem seinen Sattel und die anderen Utensilien zusammen und macht sich auf den Weg. Auf dem Jahrmarkt angekommen, begrüßen ihn die anderen Rodeo-Reiter respektvoll, fast wie einen Kriegsveteranen. Im letzten Moment entscheidet sich aber Brady gegen das Reiten, packt seine Sachen wieder zusammen und lässt sich von seiner Familie umarmen. Ich liebe diesen Moment. Nicht nur, weil er ohne große Worte auskommt, sondern, weil mir ein Mensch, der feststellt, dass er doch mehr an seinem Leben hängt als an seiner Passion, lieber ist, als ein Irrationaler. Um es mal salopp auszudrücken: Es braucht Eier, eigene Schwächen zuzugeben.
Das wahre Leben wird Kunst
Ein absolut gelungener Kniff ist Chloé Zhao ihr Cast. Wobei der Begriff in diesem Fall nicht ganz greift. Brady ist tatsächlich Rodeo-Reiter. Er hat sich tatsächlich bei einem Ritt eine gefährliche Kopfverletzung zugezogen. Sein Vater und seine Schwester im Film sind tatsächlich mit ihm verwandt. Und das sieht man auf der Leinwand. Man sieht die Verbundenheit zueinander, zu der Landschaft, zu den Tieren. Im Prinzip verfilmt die Familie ihr eigenes Leben. Die Kamera von Joshua James Richards ist immer nah am Pferd und nah an dessen Reiter. Mehr braucht es häufig auch nicht. Die beeindruckende Landschaft von South Dakota rahmt die Handlung weiter ein. Und sie strahlt Ruhe aus. THE RIDER ist an manchen Stellen schon etwas meditativ ohne zu langweilen. Im Mittelteil ist es ein bißchen zu entspannt. Hier bitte nicht einschlafen, denn das Ende ist es wert und vor allen Dingen traurig-schön und überhaupt nicht pathetisch. Ein Film, bei dem der Griff zum Taschentuch garantiert ist.
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © Weltkino Verleih
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