Die guten Serien erreichen mich ja immer mit einer gewissen Verspätung. Deshalb kam ich erst jetzt dazu die erste Staffel von THE HANDMAID’S TALE anzusehen. In Rückblenden erzählt hier der Magd Offred (Elisabeth Moss) aus der Ich-Perspektive und teils mit innerem Monolog wie sich ihr Leben radikal verändert hat. Eine christliche Fundamentalisten-Gruppe hat in den USA die Macht übernommen und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Das neu etablierte Gesellschaftssystem im neu gegründeten Staat Gilead ist vollkommen darauf ausgerichtet die eigene Rasse zu erhalten. Weil Unfruchtbarkeit weit verbreitet ist, werden alle Frauen im gebärfähigen Alter zum Eigentum des Staates erklärt. Sie haben keine Rechte und sollen der männlichen Führungselite Nachkommen schenken. Offred steht im Dienst von Commander Fred Waterford (Joseph Fiennes) und dessen Frau Serena Joy (Yvonne Strahovski). Nach zahlreichen Niederschlägen erfährt sie, dass ihr totgeglaubter Mann Jake (O.T. Fagbenle) und die gemeinsame Tochter noch am Leben sind und schöpft neue Hoffnung.
Die zarte Mischung
Es gibt ja Serien, die kann man direkt in einem Stück durchschauen. Ich konnte das bei THE HANDMAID’S TALE nicht. Jede Folge war für sich genommen schon so furchtbar, dass ich immer ein paar Tage Pause zwischen den einzelnen Folgen gebraucht habe. Es war diese zarte Mischung aus “Eigentlich finde ich es alles ganz schrecklich, es geht mir an die Nieren und will mich gar nicht mehr damit beschäftigen.” und “Aber ich will ja schon wissen, wie es ausgeht.”. Und so vergingen dann ein paar Wochen bis ich die zehn Folgen durchhatte. Im Vergleich zur Buchvorlage von Margaret Atwood gibt es Abweichungen. So wird der echte Name von Offred im Buch gar nicht erwähnt, in der Serie schon am Ende der ersten Folge. Offenbar ist die Offred im Buch auch wesentlich passiver als die Serienadaption. Nachdem ich das Buch aber nicht kenne, war ich diesbezüglich unvoreingenommen. Mir war auch nicht klar, dass der Stoff bereits 1990 von Volker Schlöndorff verfilmt wurde. Der Film steht nun auch auf meiner To-watch-Liste, aber – wie schon erwähnt – ich brauche jetzt erst einmal eine Pause.
Erschreckend realistisch
Die Serie begeistert mit einer wahren Fülle an Themen: christlicher Fundamentalismus, die Rolle der Frau und damit auch die Rolle des Mannes, die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf eine Gesellschaft, zwischenmenschliche Beziehungen in einem totalitären System, Flucht und Vertreibung… Man könnte sicher noch ein paar mehr Aspekte finden. Das wohl markanteste Visuelle ist die Farbe der Kleidung. Alle Mägde tragen rot mit weißen Häubchen, die Ehefrauen türkis, die Männer schwarz, die Haushälterinnnen, die “Marthas” genannt werden, khaki und die Tanten, die zur Ausbildung und Anleitung der Hausmädchen zuständig sind, braun. Dadurch lässt sich immer schon direkt auf den ersten Blick erkennen, welchen Status eine Figur in Gilead hat. Dies nutzt auch Offreds beste Freundin Moira (Samira Wiley) bei einem Fluchtversuch. Indem sie sich die Kleidung einer Tante aneignet, kann sie sich plötzlich ganz anders im öffentlichen Raum bewegen. Man merkt dadurch auch optisch, dass dieses System eigentlich nur wenigen hilft. Die Mehrheit muss leiden, eine kleine Minderheit hat die Kontrolle. Das hat aber auch zur Folge, dass selbst die Männer nicht zwangsläufig ein leichtes Leben haben. Entweder sind sie im Exil und sorgen sich um ihre zurückgebliebenen Freunde und Lebensgefährtinnen; haben eine so eine geringe Stellung, dass sie nichts zu melden haben, oder sie nutzen ihre Machtstellung aus und brechen damit das Gesetz, was in der Regel den Tod zur Folge hat.
Gebärmaschinen
Die Romanvorlage hat zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, aber die Serie passt sehr gut in diese Zeit nach #Metoo, in der die Rolle der Frau sowohl in der Gesellschaft, aber auch in Film und Serien neu ver- und behandelt wird. Ich musste an CHILDREN OF MEN und MAD MAX: FURY ROAD denken. In beiden Filmen bekommen schwangere Frauen einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. THE HANDMAID’S TALE zeigt aber auch, wie man Frauen gleichzeitig entwertet. In Gilead darf eine Frau keinen Besitz haben, sie selbst geht in den Besitz eines Mannes über. Deshalb heißen die Frauen auch immer wie ihre “Besitzer”. Offred ist die Magd von Fred (“of fred”). Durch diesen neuen Namen nimmt man der Frau auch ihre Individualität. Gleiches gilt auch für die “Marthas”.
Großartig gespielt
Auch wenn man als Zuschauer natürlich unweigerlich auf der Seite von Offred ist, gelingt es Yvonne Strahovski die Verzweiflung einer Frau, die wahnsinnig gerne ein Kind hätte, aber selbst keines gebären kann, so glaubhaft zu zeigen, dass man auch ihr Handeln gut verstehen kann. Ihr Frust und das Hoffen auf eine Schwangerschaft waren für mich fast genauso schwer zu ertragen wie der Leidensweg von Offred. Das macht auch die Stärke der Staffel aus. Auch wenn man ein bestimmtes Verhalten als Außenstehender missbilligt, ergibt das für die Motivation der Figur meistens einen Sinn. Elisabeth Moss’ Figur ist auch keine Heilige. Kann sie auch gar nicht sein, denn das System würde das nicht zulassen. Die 1. Staffel ist in Deutschland erst ab 16 Jahren freigegeben, was durchaus gerechtfertigt ist, weil es in nahezu jeder Folge um Tötungen, Vergewaltigungen, körperliche Misshandlungen oder um die psychische Belastung dieser Ausnahmesituation geht. Das ganze Ensemble ist durch die Bank weg großartig. Die zehn Folgen haben hier und da ein paar Längen, die aber manchmal sogar ganz gut sind, um durchzuschnaufen.
5/6 bzw. 8/10
Das Buch habe ich gelesen… und das war echt gut. Die Serie steht auch noch ganz oben auf meiner Liste.
Die Schlöndorff Verfilmung ist leider bei Weitem nicht so gut und vor allem intensiv emotional wie die Serie.