THE GREEN KNIGHT ist momentan im Angebot von Amazon Prime enthalten und ich hatte endlich Zeit, die Geschichte von Gawain nachholen. Gawain (Dev Patel) ist der eigenwillige Neffe von König Artus (Sean Harris). Obwohl er gerne ein Ritter werden möchte, verbringt er die Zeit lieber bei Wein und der Prostituierten Essel (Alicia Vikander). Als der furchteinflößende Green Knight (Ralph Ineson) an den Königshof kommt, nimmt Gawain im jugendlichen Leichtsinn die Herausforderung an und stellt sich dem Fremden. Der Green Knight verliert zwar seinen Kopf, stirbt aber nicht. Ein Jahr später ist die Zeit für Gawain gekommen, sich ihm erneut zu stellen. Er verlässt die Stadt und macht sich auf den Weg. Dabei kommt er in Kontakt mit Geistern, Riesen, Dieben und Intriganten. Eine Reise, bei der er zu sich selbst finden muss.
Raum zum Interpretieren
Nachdem ich THE GREEN KNIGHT fertiggeschaut hatte, waren erst einmal viele Fragezeichen auf meiner Stirn. Denn ich war permanent am Interpretieren und Deuten der ungewöhnlichen Begegnungen von Sir Gawain und trotzdem habe ich das nicht ganz verstanden. Sowohl inhaltlich als auch optisch ist THE GREEN KNIGHT sehr kryptisch. Als Zusehender wird man auch ein bißchen alleingelassen mit diesem Umstand. Geholfen hätte mir zum Beispiel die Info über die fünf ritterlichen Tugenden: Freundschaft, Großzügigkeit, Keuschheit, Höflichkeit und Frömmigkeit. So wäre mir klar geworden, dass Gawain sich überhaupt nicht ritterlich verhält und hätte sein Verhalten besser einordnen können. Aber es gibt ja nichts, was man mit ein paar Youtube-Videos nicht aufholen könnte. Tatsächlich habe ich große Lust mir den Film mit dem neu erlangten Wissen im Hinterkopf noch einmal anzusehen.
Kreative Freiheiten und ein PoC-Held
Der Film basiert auf einem mittelenglischen Text namens → „Sir Gawain and the Green Knight“, allerdings nimmt sich Regisseur David Lowery, der auch das Drehbuch schrieb, viele kreative Freiheiten heraus. In der Originalgeschichte ist Gawain bereits ein Ritter, im Film noch nicht. In der Originalgeschichte ist auch die Rolle des Green Knight eine ganz andere. Dennoch sind diese Änderungen nicht zwangsläufig schlecht, schließlich sind Sagen über gebrochene Figuren, die Widerstände überwinden und über sich hinauswachsen spannender als strahlende Helden ohne Makel. Und genau darum geht es in THE GREEN KNIGHT. Um eine Coming-of-Age-Geschichte. Auch wenn das vielleicht hinter der kryptischen Erzählweise und durchkomponierten Bildern etwas versteckt ist, wirkt die Geschichte dadurch seltsam modern und frisch. Das liegt sicherlich auch an einem ziemlich diversen Cast. → PoC-Charaktere sind in Rittergeschichten ja so gut wie nie vertreten.
Kryptisch mit prägnanter Bildsprache
Die auffällige Bildsprache (Kamera: Andrew Droz Palermo) in Kombination mit der frischen Geschichte machen wirklich Spaß. Man ist die ganze Zeit bemüht, der Geschichte zu folgen. Deshalb ist THE GREEN KNIGHT auch überhaupt nicht zum Nebenherschauen geeignet. Der Film fordert vom Zuschauenden eine gewisse Aufmerksamkeit. Dev Patel ist einfach ein wahnsinniger Sympathieträger. Die Hauptrolle übernimmt er mühelos und lässt den Zuschauer an der inneren Zerrissenheit und dem Erwachsenwerden teilhaben. Bonuspunkte auf der Flauschheitsskala gibt es natürlich auch noch für den computeranimierten Fuchs, der Gawain auf einem Teil seiner Reise begleitet.
8/10
Wer übrigens wissen möchte, ob Gawain seine zweite Begegnung mit dem Green Knight überlebt hat, sollte den Abspann abwarten. Hier ist eine kleine Szene zu sehen, die einen Hinweis darauf geben könnte. 😉