Wie überbrückt man die Wartezeit auf Tickets für die SCHACHNOVELLE am Burgtheater möglichst produktiv? Man geht im Juli 2025 auf das Münchner Filmfest und schaut dort einen Fernsehfilm auf der großen Leinwand, der erst im Oktober in der ARD laufen wird. Nachdem mir DIE AFFÄRE CUM-EX sehr gefallen hat und der Regisseur Dustin Loose hier Co-Regie führte, wollte ich unbedingt einen Platz im Kinosaal ergattern. DIE NICHTE DES POLIZISTEN handelt von der 23-jährigen Rebecca Henselmann (Magdalena Laubisch). Sie ist eine von mehreren ehrgeizigen Anwärter:innen einer baden-württembergischen Spezialeinheit der Polizei. Dort wird sie unter den wachsamen Augen von Gruppenführer Lars Menke (Nils Strunk) zu Höchstleistungen getrieben. Bald wird Rebecca auch bei verdeckten Operationen eingesetzt. Sie strengt sich an, zeigt Engagement, genau wie ihr Kollege Christoph Laurin (Max von der Groeben), dem Rebecca näherkommt. Hochmotiviert agiert die junge Polizistin bei Einsätzen gegen Drogen- und Waffenhandel. Dabei begegnet sie Machtmissbrauch und trifft auf rechtsradikale Einstellungen auch innerhalb der Polizei. Rebecca hat über den in Thüringen arbeitenden Polizisten Werner Barth (Thorsten Merten) die Einflussnahme von Rechtsradikalen kennengelernt. Nun gerät sie selbst zwischen die Fronten von organisierter Kriminalität und extremen Rechten, deren Verbindungen teilweise bis in ihre Einheit hineinreichen.

Zwischen Kameradschaft und Korruption
Es dauert eine ganze Weile, bis alle Figuren vorgestellt sind. Doch ist die Story dann erstmal in Fahrt gekommen, bleibt das Spannungslevel konstant hoch – auch wenn direkt in der ersten Szene gezeigt wird, wie der Film ausgehen wird. Ich persönlich fand diese Eröffnung ein bißchen arg effekthascherisch inszeniert. Meiner Meinung nach muss man nicht jede Geschichte mit einem „Knall“ eröffnen, aber für das deutsche Fernsehpublikum muss das wohl so sein. Man weiß relativ schnell, wohin die Reise geht, trotzdem fesselt der Weg dorthin aber durchaus. Die Geschichte basiert lose auf dem Fall der → Polizistin Michèle Kiesewetter. DIE NICHTE DES POLIZISTEN stellt die unbequeme Frage: Wer beschützt eigentlich die Beschützer? Oder anders gefragt: Wer beschützt die Polizei? Oder Whistleblower innerhalb der Polizei? Der Film zeigt, wie schwierig es ist, einzelne Individuen innerhalb des Polizeiapparats zu melden. Die „Wir gegen den Rest der Welt“-Mentalität und die Kameradschaft innerhalb der Gruppe stehen diametral einer Aufarbeitung von eigenem Fehlverhalten gegenüber. Diese toxische Loyalität innerhalb einer Gruppe, in der es nicht zuletzt auch um beruflichen Aufstieg geht, arbeitet der Film recht gut heraus.

Schauspiel, das unter die Haut geht
Der Film hat trotz des ernsten Grundtons vereinzelt auch lustige Momente. Wenn etwa eine Gruppe Polizisten-Anwärter:innen Nicoles „Ein bisschen Frieden“ während eines Ausdauerlaufs singt, kann man nicht anders als lauthals lachen. Solche Szenen sorgen für kurze Momente des Durchatmens. Das Ensemble spielt durch die Bank fantastisch. Hervorzuheben muss man aber trotzdem die Hauptdarstellerin. Magdalena Laubisch spielt mit Rebecca eine junge Frau, die zwischen Idealismus und Ernüchterung zerrieben wird. Und dieses Spannungsfeld überträgt sich auch auf das Publikum. Fassungslos muss man mit ansehen, wie sie immer mehr zwischen die Fronten gerät. Auch Nils Strunk als Lars Menke war für mich ein absolutes Highlight. Obwohl er vergleichsweise wenig Screentime hat, war ich auch drei Tage nach dem Screening auf dem Filmfest immer noch stinksauer auf seine Figur. Ich werde jetzt nicht spoilern. Aber zur Szene, in der Rebecca bei ihren Vorgesetzten sitzt und darum bittet, aus den verdeckten Ermittlungen herausgenommen zu werden, kann ich nur sagen: Holy Shit! Was für eine manipulative Scheiße! Ja, ich rege mich immer noch über diese Szene auf. Ja, ich weiß, dass es inzwischen Oktober ist. Aber ich kann doch nichts dafür, dass das Drehbuch und das Schauspiel so gut sind…

Nah am Menschen
Die Kamera von Clemens Baumeister ist immer relativ nah an den Gesichtern. Selbst im Schutzhelm während einer Übung ist die Kamera mit drin. Durch diese Nähe wird die teils klaustrophobische Atmosphäre gut eingefangen. DIE NICHTE DES POLIZISTEN zeigt, dass Extremismus nicht nur „von Außen“ kommt. Die Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und rechtsextremen Netzwerken innerhalb staatlicher Strukturen werden als reale Gefahr dargestellt. Die Probleme, die sich daraus ergeben, zeigt der Film ebenfalls schonungslos auf. Rebecca Henselmann wird zur tragischen Figur, die an einem System zerbricht, das sie eigentlich schützen sollte. Auch ohne große Leinwand sollte man den Film unbedingt anschauen. Bis zum 2. Oktober 2026 ist der Film noch in der ARD Mediathek enthalten.
Der Film DIE NICHTE DES POLIZISTEN feierte am 30. Juni 2025 auf dem 42. Filmfest München im Arri Astor Kino seine Weltpremiere. DIE NICHTE DES POLIZISTEN ist über die ARD Mediathek abrufbar.
8.5/10



