Die Leiden des jungen Azzlack (2021)

Mit der „Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler“ hatte ich bislang noch keine Berührungspunkte. Da aber eine Freundin von mir im letzten Jahr ganz euphorisch von ihren Neuentdeckungen berichtet hat, wollte ich den Gastspielen im Parktheater Bensheim auch mal eine Chance geben. Und da ich ja ein Faible für Monologe habe, fiel meine Wahl auf DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK vom Schauspiel Leipzig. A. (Eidin Jalali) tritt zum Casting an. Er ist in Deutschland aufgewachsen und hat hier studiert. Trotzdem erzählt er den Jurymitgliedern er käme gebürtig aus dem Iran. „Ich sag‘ das eigentlich nur so, weil’s dann wie eine Flüchtlingsgeschichte klingt und mich dann exotischer macht.“, meint er zum Publikum. In seinem Alltag wird er immer wieder mit Fragen konfrontiert, die sich Menschen mit einem deutschklingenden Namen wohl selten stellen müssen. Er erzählt (s)eine Geschichte über Erwartungen, Vorurteile, Zuschreibungen von außen und die Frage nach der eigenen Identität.

Szenenbild aus DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK - Azzlack (Eidin Jalali) - © Rolf Arnold
Azzlack (Eidin Jalali) – © Rolf Arnold

„Sie meinen es ja nicht böse…“

Der 75-minütige Monolog DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK – eine klare Anspielung auf DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS von Goethe – ist wahrscheinlich so aktuell wie schon lange nicht. In Zeiten internationaler Migrationsströme, mal durch Hunger, mal durch Krieg ausgelöst, ist die Frage nach der eigenen Identität eine Prägende. Allerdings wird die Identität immer wieder infrage gestellt. A. macht das an einem Beispiel fest: In der Schauspielschule musste er ein Schwein darstellen. „Die Schauspieldozentin kommt nach meiner kleinen Schweineshow zu mir und fragt mich, ob es denn überhaupt mit meinem Glauben zu vereinbaren sei, dass ich ein Schwein spiele. Ich habe Lust die Frau zu fragen, ob ich mich nicht zwei Wochen in einen Bombengürtel einfühlen soll, aber sie meint es ja nicht böse.“ seufzt er. Und genau das sei das Problem. Solche Momente sorgen permanent dafür, dass sich A. rechtfertigen und abgrenzen muss.

Szenenbild aus DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK - Azzlack (Eidin Jalali) - © Rolf Arnold
Azzlack (Eidin Jalali) – © Rolf Arnold

Aktuell, mit starker autobiographischer Note

Bei einem Monolog steht und fällt ja alles mit dem Sprecher. Eidin Jalali ist einfach großartig in dieser Rolle. Mühelos und äußerst sympathisch erzählt er die Geschichte. Diese ist vielleicht nicht zu 100% autobiografisch, enthält aber einen wahren Kern. Man spürt den persönlichen Bezug zum Thema. Das liegt natürlich auch am Autor Marco Damghani, der am Anfang von DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK eine Sprachnachricht von seinem Vater einspielt. Apropos Sprache. Die ist auch immer wieder Thema, schließlich wird das Beherrschen der deutschen Sprache als „typisch deutsch“ deklariert. Dass aber Deutsch nicht unbedingt gleich Deutsch ist, merkt A. als er in der Schauspielschule noch einmal Deutsch lernen soll, schließlich sei sein Deutsch geprägt durch einen Soziolekt/Slang.

Szenenbild aus DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK - Azzlack (Eidin Jalali) - © Rolf Arnold
Azzlack (Eidin Jalali) – © Rolf Arnold

Woher kommst du denn wirklich?

Die Frage nach Repräsentation gerade in der Kulturbranche ist keine neue. Alljährlich werden Studien veröffentlicht, die erklären, wie wenig Frauen und People of Color in Filmen und Serien repräsentiert sind. Was in Folge heißt, wie wenig ihre Geschichten erzählt werden. Und auch DIE LEIDEN DES JUNGEN AZZLACK fragen: Wer spielt welche Rolle und bildet diese Rolle überhaupt die Realität ab? „Ich durfte mich bisher bewerben für 10x den Flüchtling, 5x den Terroristen, 2x den Zuhälter, 4x den Mörder, 3x den Straßenjungen, 5x den Schlägertypen, 3x den Türsteher und 1x den BWL-Studenten – dessen Vater Drogendealer ist“. Mit dem Zeigefinger belehren will das Stück nicht, vielmehr das Dilemma für die verständlich machen, die es nicht direkt betrifft. Und das gelingt ausgesprochen gut. Das ernste Thema wird häufig mit Humor und Sarkasmus gebrochen. So regt sich A. über die Österreicher und ihre Sprache auf: „Die sprechen ja noch nicht mal richtig Deutsch.“ Besonders amüsant, wenn man weiß, dass Jalali einen österreichischen Pass hat.

9/10

Bewertung: 9 von 10.

Gesehen am 11.03.2022 im Livestream

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