Warum sind die drei Musketiere eigentlich zu viert? Das ist eine gute Frage, über die ich mir bislang noch überhaupt keine Gedanken gemacht habe. Aber es sind ja tatsächlich vier: Athos (Michael Wächter), Porthos (Max Rothbart/Elias Eilinghoff), Aramis (Vincent Glander) und natürlich noch D’Artagnan (Nicola Mastroberardino). Alle vier fühlen sich allein und hoffen, dass es ihnen in Gesellschaft der anderen besser geht. Doch als sie feststellen, dass die Gemeinschaft ihnen nichts gibt, suchen sie sich neue Herren, denen sie dienen können. Der Leitspruch „Einer für alle und alle für einen“ gerät in Vergessenheit. Erst als es um die Suche nach einer Frau geht, raufen sich die vier Freunde wieder zusammen.
Gute Stimmung auf der Bühne und im Parkett
Das ging ja gut los. Zwei Leute kamen zu spät. Michael Wächter begrüßte die beiden und meinte, sie müssten doch nicht hinten warten, sie könnten sich ruhig auf ihre Plätze setzen und heuchelte Verständnis. Einen Parkplatz zu finden, das dauere halt. Damit sie auch nichts verpassen, beschrieb er auch gleich noch was bisher so passiert ist. Der komplette Saal kichert. Das Eis ist gebrochen. In jedem anderen Theaterstück würde das unpassend wirken, wenn das Stück auf diese Art unterbrochen wird, aber hier passt das sehr gut zum komödiantischen Ton des Stücks. Auch als kurze Zeit später zwei Leute wieder gehen, wird das auf der Bühne thematisiert: „Erst kommt ihr zu spät und dann geht ihr jetzt schon?“ „Nein, das sind zwei andere.“ Der Zuschauer wird immer wieder direkt oder indirekt eingebunden. An diesem Abend ist es Paula, die im Publikum sitzt. Sie bekommt von Nicola Mastroberardino eine Frage nach dem Wetter gestellt. Er mache das ja wahnsinnig ungern, also Publikumsbeteiligung und Mitmach-Theater, aber das stehe halt im Text. Überhaupt ist das Stück sehr frei gehalten. Die vier Darsteller machen im Prinzip, was sie wollen – oder es wirkt zumindest so. Mal beschweren sie sich über den Dramaturgen des Stücks, mal sprechen sie sich mit ihren richtigen und nicht mit den Rollennamen an. Es ist im Prinzip ein Rockkonzert.
Selbstkritische Musketiere mit Taktgefühl
Man könnte DIE DREI MUSKETIERE als Gastgeschenk bezeichnen. Die Inszenierung kam zusammen mit den Darstellern aus Basel nach München, wo es dann auch direkt die neue Saison einläutete, nachdem die ursprünglich geplante Simon-Stone-Premiere aufgrund von einer Netflix-bedingten Finanzspritze für dessen Filmprojekt verschoben wurde. Zwischen den Stationen des 1844 veröffentlichten Abenteuerromans von Alexandre Dumas, die nur spartanisch nacherzählt werden, gesellen sich auch immer wieder Fragen für die Neuzeit. Was bedeutet der Satz „Alle für einen und einer für alle“ heute noch, wo es doch hauptsächlich um das Individuum und weniger um „das große Ganze“ geht. Gibt es überhaupt eine Person oder eine Ideologie für die wir in unserer heutigen Zeit sterben würden, wurden wir gefragt. Mir ist da ehrlich gesagt nichts eingefallen. Und auch sonst niemand im fast ausverkauften Haus wollte die Hand heben. Das ist aber nur einer der wenigen wirklich ernsten Momenten des Stücks. Insgesamt ist das Stück auch sehr taktvoll, soll heißen sehr musikalisch. Entweder instrumental mit Steppschuhen als Hufegetrappel oder als mehrstimmiges italienisches Hitmedley. Allerspätestens als die vier Musketiere nach jedem Lied ein säuselndes „Senzo una donna“ einbauen, bleibt kein Auge trocken.
Merke: Sitzplatz unten bringt mehr Freude
Mir tut es ein bißchen um die Sitzplätze leid, denn ich saß quasi direkt unter der Decke. Also im dritten Rang, der eigentlich im vierten Stock ist. Eigentlich war der Platz ja ganz richtig, denn immer wieder wurde im Stück über die Drei und Vier gestritten. Nicola Mastroberardinos D’Artagnan weist sogar darauf hin, dass es im Cuvilliéstheater quasi vier Ränge gibt. Und doch wäre ich gerne weiter unten gewesen um noch mehr vom Spektakel mitzubekommen. Kleinere Längen gab es zwar, aber die wurden gekonnt wahlweise durch Lars-Eidinger-im-Deichkind-Musikvideo-Herumgehüpfe (von Michael Wächter), eine Pferdedressur zum Radetzky-Marsch oder durch Querverweise auf andere Theaterstücke am Haus mit Pferdebezug (Hoyzeck, Die drei Nüstern…) abgemildert. Ich war nach den zwei Stunden leicht erschöpft. Die Wangen knallrot vom vielen Lachen. Die Hände brannten vom Schlussapplaus. Ich denke, ich komme nochmal wieder.
Gesehen am 24.01.2020 im Cuvilliéstheater, am 01.07.2021 im Rahmen von „Bayern spielt“ auf dem Königsplatz,
am 28.06.2020, 24.07.2020, 27.06.2021 und 15.11.2021 im Residenztheater in München (Elias Eillinghoff als Porthos),
sowie am 01.11.2021, 12.02.2022 und 29.05.2022 mit „neuer Besetzung“ (Max Rothbart als Porthos).
Trailer: © Residenztheater München
Ich war ja sehr gespannt auf deine Kritik zu dem Stück, da mir der Abend zwar sehr gut gefallen hat, ich aber doch mit ein paar Fragezeichen im Kopf nachhause gegangen bin. Das nächste Mal dann Paulas Platz oder lieber abgeklatscht werden in den Paterre-Logen?
Haben sich deine Fragezeichen zwischenzeitlich geklärt? Falls nicht, dann müssen wir wohl nochmal hin. 😉 Mit Paula würde ich jetzt nicht unbedingt tauschen wollen (ich mag Mitmachtheater nämlich auch nicht 😛 ), aber abgeklatscht werden oder einfach sehr mittig im Parkett sitzen, würde ich schon gerne.