Sie kann sich kaum auf den Beinen halten als sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss stolpert. Violet Weston (Meryl Streep), die bleiche, tablettenabhängie Krebskranke, platzt mitten in das Einstellungsgespräch ihres Mannes Beverly (Sam Shepard) mit der Hausangestellten Johnna (Misty Upham) herein. Und diese merkt schnell, dass ihre Arbeit alles andere als leicht werden wird. Denn auch Beverly hat ein Laster: der Alkohol. Als Beverly eines Tages einfach verschwindet und schließlich tot aus dem See gefischt wird, kommen zur Beerdigung alle Familienmitglieder zusammen: Tochter Nr. 1: Barbara (Julia Roberts) mit ihrem Mann Bill (Ewan McGregor) und Tochter Jean (Abigail Breslin), Tochter Nr 2: die ausgeflippte Karen (Juliette Lewis) und ihr schmieriger Neufreund Steve (Dermot Mulroney), Tochter Nr. 3: Ivy (Julianne Nicholson), die heimlich in ihren Cousin Little Charles (Benedict Cumberbatch) verliebt ist, der ebenfalls samt Tante und Onkel (Margo Martindale, Chris Cooper) anreist. Bereits nach kurzer Zeit kommt es zum Lagerkoller und manche Szenen gleichen einem Kammerspiel. Es brechen alte Wunden auf und Familiengeheimnisse treten ans Tageslicht. Teilweise wirkt das Auftreten dieser Geheimnisse unnatürlich, weil sie einfach aus dem Nichts ausgeplaudert werden. Drehbuchautorin Tracy Letts, die auch die Autorin des gleichnamigen Theaterstücks ist, wirft die neuen Informationen dem Zuschauer einfach hin, egal ob dieser etwas damit anfangen kann oder nicht.
Eine schrecklich nette Familie
Schauspielerisch tun sich besonders Meryl Streep und Julia Roberts hervor – beide völlig zu Recht bei den diesjährigen Oscars nominiert. Meryl Streep gibt die meistens geistesabwesende und nie um einen boshaften Kommentar verlegene Violet mit voller Hingabe. Sie schafft es ihrer Figur Tiefe zu geben und beim Zuschauer Mitleid, aber auch Wut auszulösen. Und da ist der Sprung nicht weit zu Julia Robert, die von den Nebendarstellern am meisten zeigen darf. Sie schreit herum und kreift, ruft eine „Pillenrazzia“ im Haus aus, kurzum: Everybody’s darling, die Rolle auf die Roberts eigentlich immer gebucht ist, sieht anders aus. Man sieht hier eher eine krassere und schnodderigere Version ihrer Erin Brockovich. Die anderen Nebendarsteller bekommen jeweils ein Szenchen, soll heißen eine sehr sehr kleine Szene, in der sie versuchen können, zu glänzen. Dies gelingt aber nicht jedem. Positivbeispiele, die in Erinnerung bleiben, sind Benedict Cumberbatchs niedliche Gesangseinlage und Chris Coopers flammendes Plädoyer für seinen Sohn („We’ve been married 38 years and I wouldn’t trade it for anything. But if you can’t find a generous place in your heart for your own son, we’re not gonna make it to 39!“).
John Wells‘ August: Osage County ist ein bißchen von allem. Schöne Landschaftsaufnahmen wie in NEBRASKA, Folkmusik wie in INSIDE LLEWYN DAVIS, Gezanke und Gekeife wie in DER GOTT DES GEMETZELS – und stets bemüht eine klare Linie für sich zu finden. Dies gelingt aber nicht immer, da immer wieder längere Pausen entstehen, die erstmal überbrückt werden wollen.
Streep und Roberts in Höchstform (4/6)
Trailer: © Tobis
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