Die Modewelt wird immer mal wieder zum Gegenstand des Kinos. Entweder in Form von Dokumentationen oder Spielfilmen wie DER TEUFEL TRÄGT PRADA. Die Modewelt umgibt die gleiche Faszination wie auch die Filmszene. Glamour und Exzentrik geben sich die die Klinke in die Hand. Und jetzt kommt zu den Modegesichtern des Films ein neues dazu, das von Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) in PHANTOM THREAD. Der ist im London der 1950er Jahre ein gefragter Mann. Seine Marke “The House of Woodcock” wird sowohl von Filmstars und dem Hochadel geschätzt und getragen.
Privat läuft es für den exzentrischen Damenschneider allerdings weniger gut. Seiner Schwester Cyril (Lesley Manville), die ebenfalls für das Modelabel ihres Bruder arbeitet, wird immer wieder die unschöne Aufgabe zuteil, mit der aktuellen Geliebten ihres Bruders “Schluss zu machen”. Bei einem Besuch auf dem Land trifft Reynolds auf die Bedienung Alma (Vicky Krieps). Alma wird Reynolds neue Geliebte und Muse. Doch hinter dem zarten Aussehen versteckt sich eine willensstarke Frau, die nicht nur der Ton in den Händen des Künstlers sein will. Sie stellt den kontrollierten Tagesablauf des Designers infrage.
Die Frau, das kranke Universalgenie
So ganz warm geworden bin ich mit dieser Alma nicht. Eine Frau, die sich völlig dem Lebensstil eines Mannes unterordnet. Natürlich war das in den 50er Jahren sicherlich noch anders. Aber eine Frau, die Köchin, Krankenschwester, Geliebte, Model, Muse und Näherin in einem ist? Das kann auf Dauer nicht gesund sein!
Ich würde ihr sogar eine psychische Störung, eine Form des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms, ferndiagnostizieren. Zur Erklärung: Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ist → das Erfinden oder tatsächliche Verursachen von Krankheiten bei Dritten, mehrheitlich Kindern, meist um selbst die Rolle eines scheinbar liebe- und aufopferungsvoll Pflegenden zu übernehmen. Wie ich darauf komme? “I want you flat on your back. Helpless, tender, open with only me to help. And then I want you strong again. You’re not going to die. You might wish you’re going to die, but you’re not going to.” sagt Alma ihrem Liebsten ins Gesicht, nachdem der ein Omlett mit giftigen Pilzen zu sich genommen hat, das sie ihm vorher zubereitet hat. Natürlich ist Reynolds kein Kind mehr, verhält sich aber häufig sehr kindlich, trotzig und ungestüm.
Die Konstante und der Mann, um den sich alles kreist
Das ruft dann jedes Mal Lesley Manville als Cyril auf den Plan. Sie ist das Krisenmanagement, die Agentin, Geschäftsführerin und Schwester in einem. Sie sorgt dafür, dass alles läuft. Im Beruflichen wie im Privaten. Die Konstante.
Sie ist die Ansprechpartnerin für alle, aber niemandes Freundin. Sie hat viele kommen und gehen gesehen, sie ist aber geblieben. Was wirklich auffällig ist, wie wenig tragende Männerfiguren es in diesem Film gibt. Da wäre noch Brian Gleeson als Arzt Dr. Hardy. Ansonsten dreht sich alles um den von Daniel Day-Lewis gespielten Reynolds Woodcock. Der Nachname ist übrigens eine Erfindung von Day-Lewis selbst, der einige Ideen zum Drehbuch beisteuerte. Woodcock bestimmt, wie laut es am Frühstückstisch werden darf, wann es Zeit für eine Konfrontation ist („I cannot start my day with a confrontation.“). Ein Pedant vor dem Herren.
Kostüme für einen Kleiderschneider
Kostümdesigner Mark Bridges hatte bei diesem Film sicher viel zu tun. Nicht nur die Kleider für Woodcock musste er entwerfen, sondern auch alle anderen Kleidungsstücke in PHANTOM THREAD. Und davon gibt es eine ganze Menge.
Unterwäsche, Mäntel, Abendroben für gekrönte Häupter, Arbeitsgarderobe – da ist wirklich alles dabei. Ziemlich beeindruckend. Glücklicherweise hatte sich Method-Actor Daniel Day-Lewis derart gut auf die Rolle vorbereitet, dass er bei der ein oder anderen Sache helfen konnte. PHANTOM THREAD soll Day-Lewis‘ letzter Film sein und wenn es so kommt, dann geht er mit einem Knall. Die Oscar-Nominierung ist ihm bereits sicher. Die größere Überraschung waren für mich aber Vicky Krieps und Lesley Manville, die mit einer kühlen Leichtigkeit gegen diese Schauspielgewalt von Day-Lewis anspielen. Dieses Dreiergespann ist das Eintrittsgeld in jedem Fall wert. Das Drehbuch von Paul Thomas Anderson ist genauso distanziert wie die Figuren. Leider verliert der Film im letzten Drittel etwas von dieser entspannten Haltung und wird zunehmend langweiliger. Wer auf einen großen Wendepunkt wartet, der wartet vergeblich. PHANTOM THREAD ist ein filmgewordenes Psychogramm einer ungewöhnlichen Liebesbeziehung, dem auf den letzten Metern die Luft ausgeht.
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © Universal Pictures
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