Jeder kennt es noch aus der eigenen Kindheit, das mit Handpuppen gespielte Kasperletheater. Im englischen Sprachraum gibt es eine abgewandelte Version namens “Punch and Judy”. Mr. Punch ist dabei eine besonders gewalttätige Figur und Judy steht für die Person, die vom Punch vermöbelt wird. Mirrah Foulkes bekam die Aufgabe aus diesem Thema einen Film zu machen. Das Drehbuch von JUDY AND PUNCH war so gut, dass sie auch die Regie übernehmen durfte. In ihrer fiktionalen Geschichte sind Mr. Punch (Damon Herriman) und seine Frau Judy (Mia Wasikowska) echte Puppenspieler, die sich mithilfe ihrer Kunst über Wasser halten müssen. Sie landen im abgelegenen Örtchen Seaside. Eines Tages bittet Judy ihren Mann auf das gemeinsame Kind aufzupassen. Bei einem Kleinkind sollte das kein Problem sein. Doch durch eine unglückliche Verkettung von Umständen wirft der Göttergatte das Kind aus dem Fenster. Als Judy ihren Mann über das verschwundene Kind zur Rede stellt, schlägt er seine Frau krankenhausreif und versteckt sie im Wald. Zurück im Haus macht er sich die Angst der Einwohner von Seaside vor Hexen zunutze und denunziert seine Hausangestellten. Doch Judy ist nicht tot und kehrt zurück.
Genreübergreifende schwarze Komödie
JUDY AND PUNCH war einer dieser Filme, die ich spontan auf dem Filmfest München gesehen habe und die auch nicht im normalen Presseakkreditierungs-Kontingent enthalten waren, weil der Film immer in der „Abendsparte“ lief. Soll heißen, ich musste mir die Karte selbst kaufen. Und da bin ich natürlich immer ein bißchen vorsichtiger als bei den Tickets, die ich über meine Akkreditierung bekomme. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe den Ticketkauf zu keiner Zeit bereut, denn der Film wirkt trotz der rückständigen Zeit, in der er spielt, sehr frisch und überraschend. Einem Genre lässt sich der Film nicht direkt zuordnen: ein bißchen Märchen, ein bißchen Western, ein bißchen Drama, ein bißchen Krimi. Diese bunte Mischung erkennt man auch an der Musik. Musik wird häufig als irritierendes Moment eingebaut. So sieht man eine Hippie-Kommune in historischen Gewändern Tai Chi im Wald machen. Auf der Tonebene wird ein Leonard Cohen-Song drübergelegt und sorgt so für zusätzlichen Witz. Generell ist zu sagen, dass PUNCH AND JUDY immer wieder mit den genretypischen Klischees bricht und diese neu interpretiert. Mirrah Foulkes und ihrem Cast gelingt es trotz all der widersprüchlichen Effekte auf der Bild- und Tonebene einen glaubhaften Mikrokosmos zu schaffen.
„Why is the punching guy always winning?“
Dennoch wurden viele Elemente aus dem klassischen Kasperletheater übernommen. So ist nicht nur im der Theater der Polizist der Gelackmeierte, sondern auch im Film. Der Constable (Benedict Hardie) merkt zwar, dass irgendwas nicht stimmt, aber er kommt gegen die Gemeinschaft nicht an und kommt nicht gegen den überzeugenden Punch an. Auch hier lässt sich ein Subtext über die Verführung der Massen durch einen Künstler erkennen. Der Film hinterfragt auch den Sinn von Gewalt. Warum der schlagende Typ immer gewinnt, will beispielsweise ein Mädchen wissen. Auch die Angst vor Hexen – einer Bezeichnung, die ja fast ausschließlich Frauen diskreditiert – zeugt von einer Angst vor Frauen. Hexen werden in diesem Filmuniversum natürlich auch gesteinigt – es gibt auch einen extra „stoning day“, der besonders begangen wird. Ich musste da an die → Bibelgeschichte über Jesus und die Ehebrecherin denken, da Mr. Punch neben Judy auch zahlreiche Affären hat. Auch wenn der Film nicht „absichtlich feministisch“ geworden ist und auch zeitlich vor der #Metoo-Debatte entwickelt wurde, so hat die Geschichte durchaus kleine Nuancen, kleine Schmankerl, die eine Verbindung zur Gegenwart herstellen.
6/6 bzw. 10/10
JUDY AND PUNCH hat leider in Deutschland noch keinen Starttermin.
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