Citizenfour (OmU, 2014)

Spielen wir das doch einmal durch.

Ich blogge. Ich teile meine Meinung mit der Welt. Ich ordne ein und sortiere. Ich komme zu einem Urteil. Mein Urteil ist unantastbar und ich bin unbestechlich.

Ich blogge, aber nur das, aus dem mir niemand einen Strick drehen kann. Ich teile meine Meinung mit der Welt, aber nur den Teil der Meinung, der vor einem Gericht nicht gegen mich verwendet werden kann. Ich ordne ein und sortiere aus. Ich komme zu einem Urteil, welches nicht im Kern das trifft, was ich eigentlich darüber denke. Womöglich erwartet mich ein Urteil, wenn ich nicht das schreibe, was die wollen. Mein Urteil ist nicht mehr mein eigenes.

Im Januar 2013 wurde die Filmemacherin Laura Poitras von einem anonymen Informanten namens Citizenfour kontaktiert. Die Quelle gibt an, sie habe Informationen über die systematische Massenüberwachung des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Nach einiger Zeit des Kontakts kommt es zu einem Treffen in einem Hotelzimmer in Hongkong mit Citizenfour zu dem der Guardian-Reporter Glenn Greenwald hinzugezogen wird. Citizenfour heißt im wahren Leben Edward Snowden und ist Angestellter der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton über die er als Systemadministrator bei der NSA in Hawaii tätig war. Snowden hat brisante Informationen. Im Rahmen seiner Tätigkeit hatte er Zugriff auf mit „Top Secret“ eingestufte Dokumente, die nicht nur beweisen, dass der Terror des 11. Septembers zu einem Generalverdacht der amerikanischen Bevölkerung führte, sondern auch die bewusste Täuschung der Öffentlichkeit durch den US-amerikanischen Geheimdienst. Poitras erhält die Erlaubnis die Gespräche zu filmen und verfolgt die Entwicklungen aus dem Kreis der Enthüller, zu dem am zweiten Tag auch Guardian-Reporter Ewen MacAskill hinzustößt.

© Praxis Films
Was nutzt das Recht auf Meinungsfreiheit, wenn sie nicht geschützt wird?

CITIZENFOUR rüttelt trotz dem ruhigen Erzähltempo auf. Man möchte nach dem Kinobesuch sofort sein Handy im Kühlschrank verstecken und am besten nie mehr wieder benutzen. Laura Poitras‚ Kameraarbeit ist bemerkenswert. Die Nahaufnahmen von tippenden Händen und Gesichtern sorgen dafür, dass man als Zuschauer das Gefühl hat mittendrin und besonders nah an den Menschen zu sein. Häufig ist die Kamera auf Augenhöhe platziert. Wenn Edward Snowden beispielsweise den beiden Guardian-Reportern etwas erklärt, wird die Kamera zum dritten Reporter, vielleicht auch zum Komplizen. Man zuckt zusammen wenn plötzlich ein  Feueralarm losgeht, genau in dem Moment, indem Daten von A nach B übertragen werden sollen. Nur Wartungsarbeiten, sagt die Rezeption. Trotzdem bleibt permanent ein unbehagliches Gefühl, eine Art Ruhe vor dem Sturm. Besonders interessant sind die Szenen, in denen Snowden selbst die Berichterstattung des Skandals ansieht. Der Film dokumentiert aber nicht nur den Snowden-Skandal, sondern auch die Veränderungen, die damit einhergingen. Fragen des Journalismus zum Zeugenschutz, der Zensur durch Regierungen (Greenwalds Partner wurde am 18. August 2013 → am Londoner Flughafen festgehalten und alle elektronischen Geräte beschlagnahmt; der Guardian musste die Festplatten mit sensiblen Dokumenten auf Druck der Regierung → zerstören), der Umgang mit Whistleblowern und der Informationsübertragung im Allgemeinen werden ebenso thematisiert.

Edward Snowden wirkt permanent abgeklärt, allerdings gibt es auch Momente, in denen diese Abgeklärtheit brüchig wird. Wenn er beispielsweise Kontakt zu seiner Freundin Lindsay hält, die ihm erzählt, dass ihr Haus durchsucht und sie selbst verhört wurde.  Einmal sagt er auch, dass er sich zwar vorgestellt habe, wie es wohl sein werde, wenn er an die Öffentlichkeit geht, aber dass es doch noch etwas anderes sei, wenn es dann tatsächlich passiert. Immer wieder sagt er „Ich bin nicht die Story“.  Glenn Greenwald ist der besorgte Investigativreporter, der um die ganze Welt jettet, um die Hintergründe aufzudecken. Er macht einen kompetenten Eindruck, insbesondere wenn er sich fragt, ob sie nicht durch eine Veröffentlichung von Snowdens Klarnamen der Regierung Arbeit abnehmen würden. Laura Poitras bleibt weitesgehend im Hintergrund. Man hört meistens ihre Stimme, wenn sie mit den anderen Journalisten redet oder aber wenn sie die Chatprotokolle und Nachrichten von Edward Snowden vorließt. Die witzigste Pointe liefert Ewen MacAskill, der neu in die Gruppe kommt. Er fragt Edward, wie er denn überhaupt hieße und Snowden buchstabiert bereitwillig seinen Namen. Einen Namen, den heute jeder kennt. Snowden hat in seinem Hotelzimmer ein Buch liegen, „Homeland“ von Cory Doctorow, bezeichnenderweise ist die Hauptfigur dieses Buches ein Hacker und Untergrundheld. Spannend ist die letzte Szene des Films. Greenwald ist im Sommer 2014 nach Moskau gekommen und erzählt Snowden von einer neuen Quelle. Dieser ist von den Enthüllungen überrascht. „That’s ridiculous“ sagt er und lacht ungläubig. Die Ungläubigkeit der Weltöffentlichkeit über die Snowden-Enthüllungen wird zur Ungläubigkeit von Snowden selbst. Was für eine Pointe.

Näher dran war keiner (6/6)

© Piffl Medien

5 thoughts on “Citizenfour (OmU, 2014)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert