Wünschen wir uns das nicht alle? Wir bekommen einen Anruf. Die Stimme am anderen Ende der Leitung sagt uns, wer wir sind und was unsere Bestimmung ist. Und dann machen wir das einfach. Auf einen solchen Anruf wartet der Mathematiker Qohen Leth (Christoph Waltz). Er lebt in einer kunterbunten dystopischen Zukunft, in der die Menschen permanent überwacht werden. Von zahlreichen Neurosen und Ängsten geplagt, lässt sich Qohen immer wieder von Ärzten (u.a. Ben Whishaw) durchchecken, die ihn allerdings aufgrund fehlender Symptome immer wieder nach Hause schicken. Auch die Therapeutin Dr. Shrink-Rom (Tilda Swinton), eine Art Skype-Psychologin, kann der geplagten Seele nicht helfen. Immer wieder bettelt Qohen seinen Vorgesetzten Joby (David Thewlis) an, doch von zuhause arbeiten zu dürfen. Nach einem Treffen mit Management (Matt Damon), dem Geschäftsführer des marktbestimmenden Konzerns, erhält er tatsächlich eine Aufgabe, die er auch zuhause erledigen kann: das Zero Theorem, eine Formel für den Sinn des Lebens. Kurz darauf lernt er auf einer Party die schöne Bainsley (Mélanie Thierry) kennen, die ihn im weiteren Verlauf stark von seiner Arbeit abhält.
Der verpasste Anruf
Leider macht sich Terry Gilliam nicht die Mühe seine dystopische Zukunftsvision näher zu erklären. Dank Presseheft und Internet werden aber viele Fragen teilweise oder ganz geklärt. Letztendlich sieht Gilliam in seiner Geschichte, die auf der Kurzgeschichte „Call“ des Universitätsprofessors Pat Rushin basiert, eine Reflexion zur Jetztzeit. Auch heute seien die Bürger Opfer von Überwachung, die Welt schon permanent vernetzt und durchdrungen von Algorithmen und Formeln. Man denke dabei an das Bankensystem und die Börse. Allerdings bestehen die Datensätze in der Filmdystopie aus Liquid Memory, also Flüssigkeiten. Wie diese eingesetzt oder erstellt werden, bleibt ebenfalls ungeklärt, wie die Frage, wo und wann die Geschichte überhaupt spielt. Auch das Ende des Films ist unglaublich verwirrend und lässt Fragen offen, die auch der Regisseur nicht beantwortet, da er die Deutung dem Publikum überlassen möchte. Obwohl durchaus komische Anspielungen vorkommen – so gibt es in der Zukunft die „Kirche von Batman, dem Erlöser“ – ist THE ZERO THEOREM eine kapitalismuskritische Metapher auf das Leben.
Die Hauptfigur Qohen lebt in einer abgebrannten wie heruntergekommenen Kirche. Die Verbindung aus Religion und Wissenschaft erweist sich auch hier als schwierig. Auf der einen Seite glaubt er an den Anruf und dieser Glaube verleiht ihm Hoffnung und eine Daseinsberechtigung. Auf der anderen Seite arbeitet er als Wissenschaftler, der mit mathematischen Mitteln diese immaterielle Daseinsberechtigung beweisen will. Ein Paradoxon. Kein Wunder also, dass Qohen von Ängsten und Neurosen geplagt wird. Die kunterbunte sexgetränkte Werbe- und Konsumwelt, die jeden Morgen auf Leth hereinströmt, der expressive Kleidungsstil, die leuchtenden Lichter, denen er abseits seines Heims ausgesetzt ist, machen ihm zusätzlich zu schaffen.
Christoph Waltz beweist einmal mehr wie grandios er spielen kann. Die Marotten seiner Figur kann er glaubhaft umsetzen, sodass der Zuschauer sich mit Qohen Leth identifizieren kann. Er ist nicht perfekt und das macht ihn so liebenswert. Mélanie Thierry spielt Qohens Gegenpol. Während sich Qohen zurückzieht, geht sie auf ihn zu und holt ihn aus seinem Schneckenhaus-Dasein. Tilda Swinton darf wieder einmal ihre Verwandlungsfreude ausleben (in THE GRAND BUDAPEST HOTEL und SNOWPIERCER war sie zuletzt bis zu Unkenntlichkeit kostümiert) und sogar an einer Stelle rappen. Als bester Nachwuchsschauspieler fällt Lucas Hedges als Managements Sohn Bob auf. Leider lässt Gilliam viele Fragen offen und erklärt zu wenig. Auch das Filmende sorgt für ein großes Fragezeichen. Viele dieser Fehler sind sicherlich auf das kleine Budget des Films und Zeitmangel zurückzuführen. Nichtsdestrotrotz ist THE ZERO THEOREM opulentes, expressives und kunterbuntes Kino zum Nachdenken.
Kunterbunte Dystopie (4/6)
© Concorde Filmverleih
Den Film will ich auch noch unbedingt sehen! Ich liebe Gilliam und dieser hat mich vom Trailer her besonders an den fantastischen „Brazil“ erinnert… 🙂
Gerade ist Terry Gilliams geniale Autobiografie erschienen:
https://kinogucker.wordpress.com/2015/12/12/gilliamesque-meine-prae-posthumen-memoiren/