Nachdem mir schon DAS VERMÄCHTNIS von Matthew Lopez so gut gefallen hat, habe ich mich sehr darüber gefreut, dass das Staatstheater Nürnberg ebenfalls ein Lopez-Stück zeigt: THE LEGEND OF GEORGIA MCBRIDE. Im Zentrum der Geschichte steht Elvis-Imitator Casey (Yascha Finn Nolting). Für ihn läuft es nicht gerade rund: das Konto ist leer und wegen des Mietrückstands steht eine Räumungsklage ins Haus. Dann eröffnet ihm Freundin Jo (Süheyla Ünlü), dass sie schwanger ist. Und schließlich ersetzt ihn sein Arbeitgeber, der Besitzer eines örtlichen Nachtclubs, auch noch durch die Drag-Show von Miss Tracy Mills (Pius Maria Cüppers). Casey muss sich entscheiden: weiterhin den Elvis geben oder als Drag Queen durchstarten.
Feel-Good-Komödie mit Tanz und Glitzer
THE LEGEND OF GEORGIA MCBRIDE ist eine schräge Komödie, die einfach gute Laune macht. Wer sich bislang noch nicht mit Drag beschäftigt hat, bekommt hier von Regisseur Christian Brey einen humorvollen Einstieg in die Materie präsentiert. Schauspielerisch stechen besonders Yascha Finn Nolting und Pius Maria Cüppers aus dem Ensemble hervor. Beiden merkt man die Spielfreude in jedem Moment an. Zudem ist es ziemlich beeindruckend wie schnell beide die Kostüme wechseln können. Auf der Drehbühne befinden sich gleichzeitig der Backstage-Bereich und die Showbühne, die durch einen übergroßen Fuchs mit leuchtenden Augen daherkommt. Während sich die Bühne dreht, sieht man noch, wie sich die Männer in den Fummel schmeißen und kurze Zeit später durch den Lametta-Vorhang perfekt gestylt ihren Auftritt absolvieren.
Ertränkt im Glitzerregen
Schauspielerisch wirken dann doch manche Dialoge zu Beginn des Stücks etwas hölzern. Insbesondere Süheyla Ünlü als Caseys schwangere Freundin konnte mich überhaupt nicht überzeugen. Ich kann nicht ganz sagen, ob es am Schauspiel oder einfach der Rolle lag… Jedenfalls ist Jo selten konsistent. Auf der einen Seite ist es für sie ein großes Problem, dass ihr Freund in Frauenkleidern auftritt. Gefühlt zwei Minuten später ist schon wieder alles vergessen und sie hilft Casey bei seinem nächsten Auftritten. Insgesamt geht THE LEGEND OF GEORGIA MCBRIDE wenig inhaltlich in die Tiefe. Einen dieser flüchtigen Momente, in denen sich das Ensemble nicht in Oberflächlichkeiten verliert, ist der Dialog zwischen Drag Queen Rexy und Casey. Rexy wirft Casey vor, die Idee von Drag zu verraten. Viel schlimmer noch: gar nicht zu verstehen, was Drag überhaupt nicht bedeutet. „Drag ist Protest. Drag ist eine erhobene Faust in einem Pailletten-Handschuh“. Nach Protest fühlt es sich der Abend aber nicht an. Eher nach einem Märchen, wo sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst.
Standing Ovations
Wenn man über die dramaturgischen Schwächen hinwegsehen kann, hat man große Freude mit dem Abend. Beim Schlussapplaus hielt es wirklich niemanden mehr auf den Sitzen. Selbst mich nicht. Es war einfach eine großartige Show. Ich bin ja traditionell sehr sparsam mit Standing Ovations, aber hier stand ich innerhalb einer Sekunde auf den Beinen. All das, was ich in diesen zwei Stunden präsentiert bekam, war wirklich derart unterhaltsam, dass ich einfach nicht anders konnte. So war ich dann etwas überrascht, dass es tatsächlich Buhrufe von gefühlt 5, 6 männlichen Zuschauern gab. Nachdem es ja zwischendrin eine Pause und somit die Möglichkeit zum vorzeitigen Gehen gab, war klar, dass die Buhrufer offenbar vornehmlich ein Problem mit tanzenden Männern in Frauenkleidern hatten. Die restlichen Zuschauenden im rappelvollen Schauspielhaus übertönten die Intoleranten durch lauten Applaus.
9/10
Gesehen am 28.05.2022 im Schauspielhaus Nürnberg
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