Die Oscarsaison ist bereits in vollem Gange. Was dem Sommer die Blockbuster sind, sind dem Herbst und Winter die Indieperlen und Biopics. Doch der Begriff „Biopic“ wird in Danny Boyles Portrait von Steve Jobs äußert überstrapaziert, denn der Film basiert bis auf die Figuren und einige verifizierte Ereignisse nicht auf → historischen Tatsachen. Aufgeteilt in drei Kapitel, drei Produktpräsentationen, erzählt der Film Jobs private und berufliche Erfolge und Niederlagen. Jedes Kapitel enthält an geeigneter Stelle noch ein Flashback zu einem ausgewählten Ereignis in der Vergangenheit, welches parallel zur Kapitelhandlung erzählt wird. Die erste Produktpräsentation, die des Macintosh 1984, findet beinahe nicht statt, weil der Computer nicht „Hallo“ sagt. Steve Jobs (Michael Fassbender) setzt seinen Softwareentwicklern, insbesondere Andy Hertzfeld (Michael Stuhlbarg), die Pistole auf die Brust. Vertraute und Marketing-Chefin Joanna Hoffman (Kate Winslet) versucht zu vermitteln. Zeitgleich zur Präsentation taucht Chrisann Brennan (Katherine Waterston) mit ihrer Tochter Lisa (Makenzie Moss) auf. Chrisann will für ihre Tochter und sich Unterhaltszahlungen von Steve, doch der streitet die Vaterschaft vehement ab. Bei der Präsentation von NeXT im Jahr 1988 gerät Jobs in Streit mit seinem ehemaligen Chef, dem CEO von Apple, John Sculley (Jeff Daniels), der ihn vom Vorstand aus der Firma werfen ließ. Bei der Präsentation des iMac 1998 ist Jobs dann wieder Teil von Apple und trifft wieder einmal auf seinen alten Weggefährten Steve Wozniak (Seth Rogen), der ihn abermals auffordert seine Arbeit und die seines Teams öffentlich zu würdigen. Jobs weigert sich und es kommt zum Streit.
Ich, einfach unverbesserlich
Zwei Jahre nach Boyles letztem Film kommt nun ein collagenartiges Portrait des Apple-Gründer in die Kinos. Auf Basis der gleichnamigen autorisierten Biografie von Walter Isaacson (2011) entwickelte der preisgekrönte Drehbuchautor Aaron Sorkin eine weitere Adaption für die große Leinwand. Bereits 2013 hatte es mit JOBS einen Spielfilm mit Ashton Kutcher in der Hauptrolle gegeben, der allerdings aufgrund schlechter Einspielergebnisse in den USA gar nicht erst den Weg in die deutschen Kinos fand. Ein ähnliches Schicksal blieb STEVE JOBS erspart, dennoch blieb der Erfolg trotz positiver Kritiken bisher aus. 30 Millionen Produktionskosten stehen aktuell 17.3 Millionen Einnahmen gegenüber (→ BoxOfficeMojo). Dies kann aber keinesfalls an einer zu komplexen Handlung bzw. zu technischen Erklärungen liegen. Dennoch bedient sich der Film gerne bei technischen Metaphern. Die Apple-Produkte sind allesamt Teile eines geschlossenen System, sie sind inkompatibel mit anderen technischen Geräten. Diese Inkompatibilität legt auch Steve Jobs an den Tag. Als seine Tochter ihn fragt, warum er sie jahrelang verleugnet habe, schiebt er es auf eine falsche Programmierung. Darum ist die Frage des von Seth Rogen gespielten Steve Wozniak völlig berechtigt: „Was machst du eigentlich?“ Jobs gibt eine kryptische Antwort. Er spiele das Orchester. Der Film ist in dieser Hinsicht unglaublich brilliant, denn so ganz klar wird bis Ende nicht, was er da eigentlich macht. Er scheucht die Programmierer herum, setzt ihnen die Pistole auf die Brust. Er setzt Konkurrenten unter Druck, bezirzt die Presse.
Witzigerweise nimmt der Film immer wieder technische Entwicklungen vorweg. So zeigt Wozniak Jobs eine selbstgebaute Uhr, die stark an einen frühen Vertreter der iwatch erinnert. Gleichzeitig kommt damit auch ein Nostalgiegefühl auf. Michael Fassbender sieht dem Computervisionär zwar nur im letzten Drittel ähnlich, aber das macht nichts. Boyle geht es ohnehin nicht um die historische Korrektheit, sondern um das Erzählen einer spannenden Geschichte. Das gelingt ihm gut. Fassbender kann das Charakterfach. Daher ist es auch keine große Überraschung, dass er auch hier wieder glänzt. Die Ambivalenz seiner Rolle muss anstrengend gewesen sein. Jobs springt herum, von Raum zu Raum, von Treffen zu Treffen. Immer unter Strom. Immer Angst vor Kontrollverlust. Kate Winslet spielt Jobs Vertraute. Die bemuttert Jobs, redet ihm ins Gewissen und bereinigt den Mist, den Jobs verbockt. Sie ist die einzige moralische Instanz, die er gleichwertig neben seiner eigenen anerkennt, vielleicht auch deshalb, weil sie als eine der wenigen Jobs Tempo mithalten kann. Ertragen kann sie dessen Launen aber nur mit Zynismus. Winslet bildet einen starken Gegenpol zu Fassbender und beide werfen sich die Gags hin und her.
Auffällig ist auch der Soundtrack von Daniel Pemberton, der die drei Akte auch musikalisch unterscheidet. Während der erste Akt an elektronische Klänge der ersten Computer erinnert, gibt es Teile, die nach Oper und großem Orchester klingen. Mal zart, mal episch. Ein unglaublich spannender und vielfältiger Soundtrack. Der Film ist keine Glorifizierung des Mythos Steve Jobs. Das Ende – die Versöhnung des Vaters mit seiner Tochter – gerät etwas zu sehr ins Kitschige. Langweilig wird es aber nie. Derweil wird nach Gründen für die schlechten Einspielergebnisse → gesucht. Neuster potenzieller Sündenbock: Seth Rogen soll schuld sein, weil er einen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten über Twitter beleidigt hat. Die Academy wird Danny Boyle und seinem Cast im nächsten Jahr mit Oscar-Nominierungen aber sicherlich den Schmerz über die Einspielergebnisse versüßen.
Packend und witzig (5/6)
Trailer: © Universal Pictures Germany
Lachhaft – Seth Rogen soll schuld sein? Ich denke eher, dass das Interesse an der Figur Steve Jobs eben nur so groß ist wie das Interesse der breiten Masse nach einem iPhone-Modell das inzwischen nicht mehr auf dem Markt ist: gleich Null. Was haben sie geweint, als Steve Jobs gestorben ist? Dabei hat er eine Marke geformt und nicht die Programmierung an sich. Die Erfinder der gängigen Programmiersprachen kennen die meisten gar nicht. Die Generation iPhone hat inzwischen andere Popkultur-Ikonen, schätze ich.
Aber danke für den Hinweis, dass es kein Film ist, der Jobs in den Himmel lobt. Ansonsten wäre ich herb enttäuscht.
Sehr schöne Rezension! Ich habe mich auch am etwas zu versöhnlichen Ende gestört. Hier meine Gedanken zum Film: https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/2015/11/19/danny-boyle-1-steve-jobs/
„Boyle geht es ohnehin nicht um die historische Korrektheit“ – genau das ist das Problem für mich an diesem Film. Ein sogenanntes Biopic sollte auch eins sein, keine ausgedachte Geschichte. Daher habe ich auch kein Interesse an dem Film…
Welches Biopic ist denn wirklich 100% historisch korrekt? Es müssen immer Abstriche zugunsten der Narration gemacht werden. Michael Fassbender und Aaron Sorkins Dialoge solltest du dir echt nicht entgehen lassen.