Phaedra (2023)

Jedes Mal, wenn Simon Stone, ein neues Stück inszeniert, bin ich interessiert. Seit den DREI SCHWESTERN hat der australisch-schweizerische Regisseur einen Stein bei mir im Brett. Daher habe ich meinen letzten Londonurlaub für einen Abstecher ins National Theatre genutzt, wo PHAEDRA lief. Stone verlegt den antiken Stoff dabei in die Jetztzeit. Im Zentrum steht Helen. Nachdem sie sich jahrelang auf ihre politische Karriere konzentriert hat, wendet die Politikerin Helen (Janet McTeer) ihre Aufmerksamkeit ihrem Privatleben zu. Eines Abends steht plötzlich Sofiane (Assaad Bouab), der Sohn eines ehemaligen Liebhabers, bei ihr in der Wohnung und lernt ihre Familie kennen. Helen ist fasziniert von Sofiane, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Obwohl Helen mit Hugo (Paul Chahidi) verheiratet ist, stürzt sich Helen in eine Affäre mit Sofiane. Dieser bezirzt mit seinem Charme auch Helens Tochter Isolde (Mackenzie Davis). Als Helen herausfindet, dass Sofiane mit beiden Frauen ein Verhältnis hat, wird Helen von ungezügelter Eifersucht erfasst. Helens Freundin und politische Verbündete Omolara (Akiya Henry) steht ihr zur Seite, hinterfragt jedoch Helens Entscheidungen und bietet eine moralische Perspektive inmitten des Chaos.

Szenenbild aus PHAEDRA (2023) - Sofiane (Assaad Bouab) trifft auf die Familie von Helen (Janet McTeer) - Photo by Johan Persson
Sofiane (Assaad Bouab) trifft auf die Familie von Helen (Janet McTeer) – Photo by Johan Persson

Wunderbares Bühnenbild

Ich hatte PHAEDRA zum ersten Mal über NT Live in der Version mit Helen Mirren in der Hauptrolle gesehen, nun jetzt also das erste Mal live. Wie für Inszenierungen von Simon Stone üblich, nimmt er den antiken Stoff und modernisiert ihn. Aus der Königin wurde eine Politikerin. Daher heißen die Figuren auch plötzlich anders und auch der ursprüngliche Stoff wird modernisiert. Mir hat das sehr gut gefallen, weil die Liebesgeschichte von Helen und Sofiane sehr viel organischer und realistischer wirkte, als die Version von Nicolas Hytner, die weitaus theatralischer daherkam. Das fantastische Bühnenbild von Chloe Lamford fällt zudem sofort ins Auge. Natürlich spielt alles stone-typisch wieder in einem überdimensionalen Glaskasten auf einer Drehbühne. Dieser wird aber im Verlauf des Stücks immer wieder → hinten geöffnet um ein neues Bühnenbild hineinzuschieben.

Szenenbild aus PHAEDRA (2023) - Sofiane (Assaad Bouab) unterhält sich mit Isolde (Mackenzie Davis) - Photo by Johan Persson
Sofiane (Assaad Bouab) unterhält sich mit Isolde (Mackenzie Davis) – Photo by Johan Persson

Grandioses Casting

Das Ensemble ist sehr gut besetzt. Janet McTeer brilliert in der Titelrolle. Die toughe Politikerin nimmt man ihr genauso ab wie die unbefriedigte Ehefrau auf der Suche nach einem Abenteuer. Auch Assaad Bouab nimmt man seinen Sofiane ab und kann auch verstehen, warum Helen ihm verfällt. Insbesondere die Szenen mit McTeer sind sehr emotional aufgeladen. Die dritte im Bunde ist Mackenzie Davis als Helens Tochter Isolde, die ebenfalls mit Sofiane eine Liebesbeziehung eingeht. Mein persönliches Highlight war aber Paul Chahidi in einer Nebenrolle als Helens Mann Hugo. Hugo ist einfach nur charmant und möchte den Familienfrieden mit Humor und Diplomatie wahren. Doch die Tatsache, dass er von seiner dominanten Ehefrau permanent in den Schatten gestellt wird, lässt seine unterschwellige Bedeutungslosigkeit umso trauriger wirken. Wer ein Herz für Underdogs hat, wird Hugo lieben.

Szenenbild aus PHAEDRA - Helen (Janet McTeer) und Omolara (Akiya Henry) - Photo by Johan Persson
Helen (Janet McTeer) und Omolara (Akiya Henry) – Photo by Johan Persson

Starke Neuinterpretation des antiken Mythos

Simon Stone ist mit PHAEDRA eine beeindruckende Neuinterpretation des antiken Mythos gelungen. Das Ensemble spielt auf und überzeugt mit starken, vielschichtigen Darstellungen. Zusammen mit dem Bühnenbild wird eine visuell und emotional fesselnde Inszenierung geschaffen, die aber am Anfang ein bißchen braucht, um in Fahrt zu kommen. Einige Szenen ziehen sich unnötig in die Länge, was die Spannung zeitweise mindert. Dennoch schaffen es die herausragenden schauspielerischen Leistungen des gesamten Ensembles, diese Schwäche zu überspielen und die Aufmerksamkeit des Publikums bis zum Schluss zu halten. Der Schluss endet dann noch mit einem Paukenschlag. Helen wird schließlich mit den Folgen ihrer politischen wie privaten Entscheidungen konfrontiert. Ein starkes Stück!

9/10

Bewertung: 9 von 10.

Live gesehen im März 2023 im National Theatre. Aktuell ist PHAEDRA im → Onlineangebot von NTatHome enthalten. (Stand: Aug. 2024)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert