Leviathan (O, 2012)

Jeder von uns hat schonmal eine Dokumentation gesehen. In der Regel gibt es ein Voice-Over, eine Stimme, die uns erklärt, worum es geht und warum uns das Gesehene kümmern sollte. Man sieht Interviews mit Betroffenen, die ihre Lage aus ihrer Sicht beschreiben. Vielleicht werden auch Ortsangaben eingeblendet oder Quellen. Genauso ist LEVIATHAN nicht. Keine Narration, keine Interviews, keine klassische Hintergrundmusik, die das Geschehen einrahmt und unterstreicht; die Filmemacher sind nichtmal „richtige“ Regisseure, sondern eigentlich Wissenschaftler der Universität von Harvard. Man wird einfach mitten ins Geschehen geworfen. Ein Bibelzitat leitet den Film ein. Man sieht zunächst nur wenig. Es ist Nacht. Irgendwo auf einem namenlosen Schiff mit namenlosen Menschen, die irgendwo fischen. Netze werden ausgeworfen und eingeholt. Die Fischer sprechen wenig und unverständlich. Die Kamera schwimmt im Fischbassin mit den Totgeweihten. Und dann kommen die Möven.

© Arsenal Institut
Fischfang mal anders

LEVIATHAN ist eine visuelle Wundertüte. Manchmal erkennt man nichts, manchmal mehr als man eigentlich sehen will. Wie zum Beispiel das Aufschlitzen der Tiere. Das Blut, das am Holz heruntertropft.  Wassertropfen benetzen die Linse. Die kleinen GoPro-Kameras, die überall am Schiff befestigt wurden, sorgen für ungewöhnliche Perspektiven und eine häufig schaukelnde Optik. Der Zuschauer ist passiv und trotzdem mittendrin. Vielmehr wird hier eine Perspektive geschaffen, die sich völlig von der menschlichen unterscheidet und sich von ihr ablöst. Der Film vermittelt zwar die Lage der Fischer, genauso schwimmt man aber auch im Fischbassin und sieht die toten Augen, die kurz darauf in einer roten Brühe wieder ins Meer zurückgekippt werden. Und dann gibt es da noch eine dritte Perspektive, die total unpersönlich und autonom agiert. Die Kamera ist nicht nur an Bord, sondern auch im Wasser neben dem Schiff. Viel passiert über die Tonebene. Selbst, wenn nichts zu sehen ist, so hört man Gespräche, Motorenlärm oder das Plätschern des Wassers. Möven kreischen dazu. Eine Mischung, die beim Zuschauen schon seekrank macht.

Der große Nachteil einer fehlenden Erzählung sind Ermüdungserscheinungen  beim Publikum. Über weite Strecken ist der Film einfach nur langweilig und diese Langeweile ist angesichts der 87 Minuten Laufzeit schwer auszuhalten. Die Einstellungen sind allesamt recht lang. Minutenlang wird auf die Augen eines müden Fischers gehalten, der aber nichts besonderes macht. Der Film appelliert nicht. Er zeigt nur, wie es ist. Und genau deshalb weiß man nicht, wie man den Film einordnen soll. Auch wie der Filmtitel zustande kam – der Levithan ist ein Seemonster aus der Bibel – geschweigedenn wie er im Zusammenhang mit dem Fischfang an der nordamerikanischen Küste zu sehen ist, bleibt unklar. Trotz beeindruckender Bilder sorgt LEVIATHAN für viele Fragezeichen.

Visuell ungewöhnlich, aber unglaublich langatmig (2/6)

© Dogwoof

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