Es ist wohl der Moment, den man mit den Oscars 2022 verbindet: Als Will Smith Chris Rock vor laufenden Kameras ins Gesicht schlug. Und im Anschluss einen Oscar für KING RICHARD gewann. Will Smith spielt hier Richard Williams, den Vater von Venus und Serena Williams. Der Erfolg der beiden Schwestern war alles andere als ein Zufall: Schon vor deren Geburt schrieb Richard einen detaillierten 78 Seiten langen Plan, in dem er bereits die Laufbahn seiner Töchter vorzeichnete. Als Venus (Saniyya Sidney) und Serena (Demi Singleton) gerade einmal viereinhalb Jahre alt waren, gab ihr Vater ihnen schon regelmäßig Tennisunterricht. Doch diese unkonventionelle Art der Erziehung führte zu enormem Erfolg. Serena gilt für viele als beste Tennisspielerin aller Zeiten und auch Venus konnte große Erfolge feiern und war zumindest eine Zeitlang auf Platz eins der Weltrangliste. Die Beziehung zu ihrem Vater aber war für die beiden Mädchen nie eine leichte.
Ein Oscar für was?
Jetzt, da ich den Film gesehen habe, finde ich den Oscar-Gewinn von Smith noch ungewöhnlicher als er ohnehin schon ist. Smith war nämlich in der gleichen Kategorie wie Benedict Cumberbatch für THE POWER OF THE DOG und Andrew Garfield für TICK, TICK… BOOM! nominiert. Warum jetzt ausgerechnet Smith den Oscar bekommen hat, erschließt sich mir nicht ganz. Denn während die britischen Kollegen, jeder so auf seine ganz eigene Art, eine sichtbare Verbesserung und herausragende Leistung zu ihrem Œuvre zeigten, kriegt man hier bei Will Smith mehr oder weniger das, was man kennt und auch erwartet. Seine Performance ist solide, aber es fehlt an der außergewöhnlichen Tiefe und Transformation, die man von einem Oscar-Preisträger erwartet.
Verzerrung der Wirklichkeit
KING RICHARD ist ein typischer Sportfilm, der in vielerlei Hinsicht auch Aspekte aus der Biografie von Richard Williams weglässt, damit die Hauptfigur besser beim Publikum ankommt. So hat der reale Richard Williams auch mal Schulkinder an den Tennisplatz bestellt, damit diese dann Venus und Serena während ihrem Training verbal beleidigen. Im Film hingegen wird Richard als tough, aber liebevoll und beschützend dargestellt, was zwar teilweise der Wahrheit entspricht, aber auch die kontroverseren Seiten seiner Persönlichkeit ausklammert. Ein Film aus der Sicht von Venus oder Serena hätte sehr viel mehr Sinn gemacht. So hätte man die gleichen Aspekte einbringen können und ein differenzierteres Bild der ganzen Thematik zeigen können. Man hätte mehr über die persönlichen Kämpfe und Triumphe der Schwestern erfahren und zeigen können, wie sie es an die Spitze geschafft haben, wegen oder vielleicht auch trotz der unkonventionellen Methoden ihres Vaters.
Überdramatisierung
Langeweile kommt als Nichtkenner der Geschichte in KING RICHARD kaum auf. Die sportlichen Trainingssequenzen und die Herausforderungen, denen sich die Familie Williams stellen muss, sind spannend inszeniert. Der Film vermittelt die Entschlossenheit und den Willen zum Erfolg eindrucksvoll, obwohl er gelegentlich ins Heroische und Überdramatische abgleitet. Typisch US-amerikanische Heldengeschichte eben: Wer hart arbeitet, wird belohnt. Dass das in der echten Welt nicht immer der Fall ist, passt nicht ins Narrativ. Regisseur Reinaldo Marcus Green, der seine Vorliebe für Biografien im Februar diesen Jahres mit BOB MARLEY: ONE LOVE (2024) zeigte, liefert am Ende einen durchschnittlich guten Sportfilm ab. Überraschende Einfälle in der Inszenierung sucht man vergebens. Trotz seiner Schwächen ist KING RICHARD ein sehenswertes Drama, sofern man sich für die Williams-Schwestern oder Tennisspiele begeistern kann.
7.5/10
KING RICHARD ist aktuell (Stand: August 2024) im Prime-Video-Abo enthalten.