Der erste Eindruck kann täuschen. Sowohl im Positiven wie im Negativen. Kaum war das erste Szenenbild zur Realverfilmung des Animeklassikers GHOST IN THE SHELL veröffentlicht, gab es Whitewashing-Vorwürfe gegen die Produktion. Eine Scarlett Johansson könne doch unmöglich eine Asiatin spielen, hieß es. Dass es doch geht – ohne, dass es stört -, zeigt GHOST IN THE SHELL, der im Jahr 2029 angesiedelt ist. Nach dem Dritten Weltkrieg dreht sich alles nur noch um Selbstoptimierung durch Technik. Viele Menschen lassen sich künstliche Implantate und Prothesen einsetzen und werden zu Cyborgs. Mira Killian (Scarlett Johansson) ist allerdings die Erste ihrer Art, die einen kompletten gynoiden Körper (Shell) besitzt, in dem nur noch ihr Gehirn (Ghost) menschlich ist. Ihre Eltern und ihr Körper starben bei einem cyberterroristischen Anschlag. Nur Miras Gehirn überlebte.
Der Konzern Hanka Robotics unter der Leitung von Dr. Ouélet (Juliette Binoche) ist verantwortlich für dieses Projekt und nach erfolgreichem Gelingen der Transplantation entscheidet der Konzern-CEO Cutter (Peter Ferdinando), Killian als Major im Kampf gegen den Cyberterrorismus in der staatlichen Eliteeinheit Sektion 9 einzusetzen. Kurz darauf kommt es zu einem Angriff auf eine Geschäftskonferenz von Hanka. Major kann den Angriff zwar nicht verhindern, aber herausfinden, dass ein Wesen namens Kuze (Michael Pitt) hinter dem Angriff stecken. Kuze soll ausgeschaltet werden. Während der Ermittlung kommt aber heraus, dass Kuze und Mira eine gemeinsame Vergangenheit haben.
Die vernetzte Welt
Es ist wirklich interessant, wie modern die Geschichte immer noch ist. Der Animationsfilm Ghost in the Shell (1995) basiert auf den gleichnamigen japanischen Mangas von Masamune Shirow und begeisterte seinerzeit bereits Filmemacher wie z.B. Lana und Lilly Wachowski, die u.a. der Vorspann des Animes zu ihrem Digital Rain (→ der flirrende grüne Quellcode) in MATRIX insprierte. Die Selbstoptimierung, das Aufwerten der eigenen Persönlichkeit durch Technik ist längst Realität. Natürlich werden noch keine Gehirne in gynoide Körper transplantiert, aber die meisten Revolutionen beginnen ja im Kleinen.
Von meinem Studium habe ich nicht viel behalten, aber → Marshall McLuhan und die Erweiterung des eigenen Körpers ist noch hängengeblieben. Niemand kann mehr alle Telefonnummern auswendig, man tippt die Nummern ins Handy und das speichert diese. So wird das Handy eine Erweiterung des Gedächtnisses, eine externe Festplatte des eigenen Körpers. Bei der kürzlich zu Ende gegangenen Re:publica gab es einen Vortrag zum Thema → Brainhacking. Das Thema ist also mehr als aktuell. Wie indirektes Brainhacking funktioniert, lässt sich ja am Phänomen der sogenannten – ja, ich kann den Begriff auch nicht mehr hören – “Fake News” festmachen. GHOST IN THE SHELL macht allerdings die Idee auf, dass Menschen, die sich zu sehr auf die Technik verlassen, dadurch auch angreifbar sind, was wiederum eine Art Polizei benötigt, die so etwas verhindert.
Also doch kein Whitewashing?
Scarlett Johansson macht einen guten Job und führt das fort, was man bereits von ihren Rollen Black Widow und Lucy kennt. Auch Margot Robbie war zwischenzeitlich für die Rolle im Gespräch, aber im direkten Vergleich, finde ich, ist Scarlett die bessere Wahl. Das kann aber auch nur persönlicher Geschmack sein, weil ich mit Robbie inzwischen zu sehr Harley Quinn verbinde.
Den Whitewashing-Vorwurf kann ich nicht ganz verstehen. Der komplette Cast ist international. Von Franzosen (Juliette Binoche) über Dänen (Pilou Asbæk) und Japanern (Takeshi Kitano) ist alles dabei. Und es ist auch nicht verwunderlich, dass Personen verschiedener Nationalitäten in einer Megacity wie dieser wohnen und arbeiten. Eine westlich aussehende Schauspielerin kann meiner Meinung nach durchaus eine asiatische Hauptrolle spielen – sofern es zum Kontext passt und das tut’s. (Vielleicht werde ich mich dem Thema Whitewashing demnächst nochmal in einem eigenen Text annehmen, weil ja in letzter Zeit jedem dritten Film Whitewashing unterstellt wird und mich das Thema so langsam nervt.) Der Film behandelt nämlich das Thema der Identität, das Zusammenspiel aus Körper und Geist und was den Menschen eigentlich ausmacht, da kann man eine solche Besetzung dem Film durchaus als künstlerische Freiheit auslegen. Die futuristische Stadt mit gigantischen Hologrammen beeindruckt sehr. Häufig hatte ich den Eindruck, dass der Film die Anime-Vorlage kopiert. Das fällt meistens bei den Kameraperspektiven auf. Die Vogelperspektive wird überproportional oft benutzt, was für westlich geprägte Filme in der Masse schon unüblich ist. Die Geschichte wird packend erzählt, allerdings hat man doch hier und da das Gefühl, dass die Narration zu sehr an der Oberfläche kratzt.
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © Paramount Pictures Deutschland
Hmm … Du kannst den Vorwurf des Whitewashing nicht verstehen, wenn eine rein asiatische Geschichte voller Dänen, Franzosen und anderer Europäer ist?? :/
Wenn eine rein asiatische Geschichte voller weißer Schauspieler ist, damit ein möglichst großes, weißes Publikum den Film guckt?
Vielleicht verstehst du unter Whitewashing ja was anderes als die, die es dem Film vorwerfen, denn genau das IST ja Whitewashing. 🙂
Aber wer entscheidet denn was eine „rein asiatische Geschichte“ ist? Wer hat denn da die Deutungshoheit? Ich finde, es gibt einfach Filme, da passt es zur Handlung und da greift die künstlerische Freiheit und es gibt Filme, wo es nicht passt, da ist es für mich Whitewashing.
Es freut mich, eine weitere positive Besprechung des Films zu lesen, nachdem er – meiner Meinung nach zu unrecht – oft abgestraft wurde. Den Whitewashing-Vorwurf kann ich durchaus verstehen, jedoch finde ich es überhaupt nicht verwunderlich, dass Hollywood natürlich versucht durch bekannte Gesichter ein möglichst großes Publikum anzuziehen. Ich habe hier ein wenig mehr darüber geschrieben. Da vergessen viele Filmfans einfach, dass Film ein Geschäft ist.
Da laufen ja zwei Themen ineinander: Einmal die Frage, ob so etwas Whitewashing IST, oder ob ein solches Whitewashing verwerflich und problematisch ist.
Man bedenke nur einmal den Aufschrei und die Diskussionen, als ein Johnny Storm oder eine Rue plötzlich mit jemand Schwarzem besetzt wurde.
Oder die Diskussion, die allenthalben ausbricht, wenn auch nur vorgeschlagen wird, einen schwarzen James Bond zu besetzen!
Da wird dann geschrieen und geschimpft und gezetert, das sei nicht der Vorlage entsprechend, das sei unrealistisch, das sei eine Frechheit!
Wenn aber Engländer und Dänen Afrikaner spielen, wenn ein in Asien spielender Film auf einer asiatischen Vorlage voller Dänen und Franzosen ist, dann ist das halb so wild, innerhalb der Story vertretbar und ökonomisch begründet.
Ist auch alles richtig – aber gerade wir als Filmjournalisten sollten das doch nicht verharmlosen und relativieren, das mit einem Achselzucken als „ökonomisch unvermeidbar“ abtun oder als „war doch in der Geschichte ganz toll!“ verharmlosen, und am Ende den Kritikern noch vorwerfen, hier etwas zu kritisieren, das nicht kritikwürdig wäre.
Gerade wir als Filmjournalisten können unsere Chance nutzen, und stärker differenzieren, mehr kritisieren und mehr sensibilisieren! Wenn wir denn wollen. :/
Natürlich sollen Filmjournalisten auf solche Strömungen und zweifelhafte Castingentscheidungen hinweisen, da bin ich ganz bei dir. Allerdings sehe ich das nicht so streng wie du und ich beziehe den Kontext des Filmes mit ein. Natürlich könnte man dem Film GODS OF EGYPT vorwerfen, dass der Cast hauptsächlich von weißen Schauspielern geprägt und nicht historisch korrekt ist, aber das will dieser Film auch nicht sein. Der Film ist ein Hau-drauf-Film. Bei Biopics hingegen lege ich einen anderen Maßstab an. Da muss es schon passen.
Leider regiert im Filmbusiness immer noch das Geld und große Namen entscheiden über das Budget. Und die großen Namen klingen derzeit noch weder asiatisch noch südamerikanisch. Aber ich habe schon den Eindruck, dass sich aufgrund des öffentlichen Drucks etwas tut. Gut Ding will Weile haben. Man muss daher weiter den Finger in die Wunde legen, gar keine Frage. Auf Dauer halte ich solche Whitewashing-Diskussionen aber nicht zielführend, weil sie dem Film noch mehr Aufmerksamkeit bescheren und wir wissen ja alle, dass auch schlechte PR gute PR sein kann. Es ist viel wichtiger seine Leser-, Hörer- oder Zuschauerschaft dazu zubewegen, auch Filme mit Geschichten von Minderheiten anzusehen. Ich glaube, dass der Wandel am besten über Geldflüsse bewirkt werden kann. Die Filmemacher bzw. Studios werden immer daran interessiert sein, Filme zu zeigen, die ein breites Publikum anziehen, daher liegt es auch am Publikum den Studios entsprechende Signale zu senden und das geht am besten über Ticketverkäufe.
Ich persönlich hätte nichts gegen einen schwarzen James Bond, weil ich James Bond-Filme nicht am Hauttyp oder am Schauspieler festmache, sondern an der Action. Wenn es einen schwarzen Bond-Darsteller gibt, der die Actionszenen meistern kann und dabei halbwegs eine gute Figur macht, dann bitte besetzt den Mann (also Idris Elba 😉 )!
Wegen Rue wurde geschimpft und gezetert? Da hatte ich nicht einmal mitbekommen, finde es aber ebenso schwachsinnig wie wenn sich darüber aufgeregt wird, dass die neuen „Ghostbusters“ nun Frauen sind. Über z.B. Idris Elba als James Bond würde ich mich sehr freuen, befürchte aber dass Hollywood hier abermals zu konservativ ist und sein Publikum nicht verschrecken will.
Das Problem ist doch eher, dass es zuwenig zugkräftige Schauspieler außerhalb der „Oscar so white“-Gruppe gibt. Daran sollte die Industrie mal arbeiten. Dann gäbe es dieses Problem ja nicht einmal. Dass die Diskussion gerade bei einer Anime-Verfilmung eines westlichen Studios so hochkocht finde ich dagegen eher amüsant, speziell da Anime-Figuren aufgrund ihrer stilistischen Darstellung (große Augen usw.) sich ohnehin an westlichen Merkmalen orientieren.
Da hat mich das oben genannte Beispiel („Ghostbusters“) viel mehr gestört.
Ich möchte mich an einer ‚Whitewashing‘-Diskussion hier jetzt nicht beteiligen, gehe aber mit deinen filmischen Aussagen zu GitS d’accord. Mir hat die visuelle und (nicht zu vergessen) die musikalische Kulisse sehr gefallen. Die philosophische Tiefe, die das Original haben soll (ich kenne das Original nicht), kratzt hier tatsächlich nur an der Oberfläche. Dennoch finde ich die Figur der Major ausreichend charakterisiert um sich in sie hineinzudenken.
Und dabei ist es mir herzlich egal, ob die Figur asiatischer oder amerikanischer Abstammung ist.