Doping (2024)

Die Münchner Kammerspiele haben in der jüngsten Vergangenheit sowohl Applaus als auch Stirnrunzeln geerntet. Von künstlerischen Kontroversen bis hin zu technischen Modernisierungen – das Theater hat eine Phase intensiver Transformation durchlaufen. Und diese Qualitätsschwankungen haben auch dafür gesorgt, dass ich die Kammerspiele nie von innen gesehen habe. Aufgrund der äußerst positiven Kritiken für DOPING habe ich meine Meinung jetzt aber geändert. Die Handlung des Stücks spielt auf der Nordsee-Insel Sylt, bekannt als Rückzugsort für die Reichen und Berühmten. Im Zentrum steht Lütje Wesel (Vincent Redetzki), ein junger und ambitionierter FDP-Politiker, der mitten im Wahlkampf für die Kommunalwahlen steht. Mit charmanter Rhetorik verteidigt er die Schließung öffentlicher Kliniken, während er gleichzeitig die landschaftliche Schönheit der Insel preist. Während einer Wahlkampfveranstaltung bricht Lütje plötzlich zusammen. Schnell wird er von seinem Mentor Ole Hagenfels-Jefsen-Bohn (Stefan Merki) und dessen Tochter Jagoda (Şafak Şengül), die ebenfalls politisch aktiv ist, in eine geheimnisvolle Privatklinik gebracht. Dort übernehmen Gesine (Eva Bay), eine Entbindungspflegerin, und der ehemalige Chefarzt Robert (Wiebke Puls) seine Behandlung. Mit unkonventionellen Heilmethoden soll Lütje rechtzeitig zum Wahlkampfabschluss wieder fit gemacht werden. Doch hinter der Fassade der Klinik verbergen sich größere Geheimnisse und Interessenkonflikte.

Szenenbild aus DOPING - Münchner Kammerspiele - Lütje Wesel (Vincent Redetzki) ist verzweifelt. - © Judith Buss
Lütje Wesel (Vincent Redetzki) ist verzweifelt. – © Judith Buss

Subtile Namen, laute Botschaften

Die Figuren in DOPING haben eine Sache gemeinsam: ihre Namen haben tiefere Bedeutungen, die ihre Charakterzüge und narrative Funktion subtil unterstreichen. Lütje, dessen Name im Plattdeutschen „klein“ bedeutet, geben bereits einen Hinweis auf seine Selbstzweifel. Ole, übersetzt „der Ahnenerbe“, betont seine Rolle als väterlicher Mentor. Jagoda bedeutet „Beere“ auf Deutsch. Der Name ist durch seine Bedeutung eng mit der Natur verbunden. Das passt sehr gut, denn Jagoda ist schwanger. Die Krankenschwester Gesine macht ihrem Name alle Ehre, denn ihr Name stammt von „Gertrud“ ab, was übersetzt „die Speerkämpferin“ heißt. Hier lässt sich eine hohe Wertschätzung für Pflegepersonal ableiten. Der Vorname Robert „der Ruhmreiche“ trägt eine starke Konnotation von Erfolg und hervorragenden Eigenschaften, was sehr gut zu einem Chefarzt passt. Gleichzeitig weckt aber sein Spitzname „Dr. Bob“ auch Erinnerungen ans letzte Dschungelcamp, was nicht unbedingt für Qualitätsarbeit steht.

Szenenbild aus DOPING - Jadoda (Şafak Şengül), Ole (Stefan Merki), Lütje (Vincent Redetzki) und Dr. Bob (Wiebke Puls) - © Judith Buss
Jadoda (Şafak Şengül), Ole (Stefan Merki), Lütje (Vincent Redetzki) und Dr. Bob (Wiebke Puls) – © Judith Buss

Politisches Kabarett

Es dauert eine Weile, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt. DOPING entfaltet sich langsam, aber beständig, zu einer bissigen Satire, die stark an politisches Kabarett erinnert. Die Inszenierung scheut nicht davor zurück, ihre Botschaften mit dem Brecheisen zu präsentieren. Das politisch interessierte Publikum wird hier auch Anspielungen auf die Realpolitik entdecken. Lütje befragt sein Unterstützerteam, ob seine politische Gegnerin „Dreck am Stecken“ hätte. Die Antwort: Man habe in Erfahrung gebracht, dass sie in ihrer Jugend Flugblätter verteilt habe, aber man wüsste nichts Generaues. Es könnte auch der Bruder von ihr gewesen sein. Eine klare Referenz auf die Flugblattaffäre von Hubert Aiwanger, die sicher nicht nur in einem Münchner Theater für laute Lacher sorgt. Um solche Insiderwitze auch als solche zu erkennen, ist es natürlich hilfreich, wenn man politisch interessiert ist.

Szenenbild aus DOPING - Münchner Kammerspiele - © Judith Buss
© Judith Buss

Der Markt kann nicht alles regeln

Die schauspielerischen Leistungen, insbesondere von Wiebke Puls mit ihrem markanten Hamburger Dialekt, sind durch die Bank großartig. Jede der fünf Figuren hat ihre kleinen, liebenswerten Macken und ist dennoch auch immer ein bißchen unsympathisch. Thematisch greift DOPING die Herausforderungen der neoliberalen Leistungsgesellschaft auf, Krankheit als Leistungskiller und beleuchtet die Last der unbezahlten Carearbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird. Diese gesellschaftskritischen Aspekte werden durch Metaphern im Bühnenbild wie „Alle sitzen im gleichen Boot“ gespiegelt. Zudem entlarvt das Stück, dass neoliberale Ideologie nach dem Motto „Der Markt regelt das schon selbst“ an einem bestimmten Punkt nur noch eine hohle Phrase ist und keine tatsächlichen Lösungsansätze bietet. Auch nicht für diejenigen, die diese Liberalisierung fordern.

9/10

Bewertung: 9 von 10.

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