Das Marvel Cinematic Universe (MCU) liegt im Sterben. Für mich persönlich war eigentlich schon nach INFINITY WAR und ENDGAME die Geschichte auserzählt. Die immergleichen Erzählmuster und vorhersehbaren Handlungsstränge des MCU haben mich irgendwann gelangweilt. Nur noch in satirischer Form konnte mich das Genre noch begeistern. Deshalb war meine Vorfreude auf DEADPOOL & WOLVERINE von Shawn Levy besonders groß. Ausgangspunkt ist, dass Deadpool (Ryan Reynolds) davon träumt, ein Avenger zu werden. Als der zwielichtige TVA-Agent Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) ihm anbietet, in die heilige Zeitlinie zu wechseln und Teil des MCU zu werden, scheint dieser Traum in greifbare Nähe zu rücken. Doch dafür muss Deadpool ein großes Opfer bringen: er müsste seine eigene Welt dafür aufgeben. Um die Auslöschung zu verhindern, rekrutiert Deadpool eine abgehalfterte Variante von Wolverine (Hugh Jackman) in einem alternativen Zeitlinie. Doch auch das sorgt für Probleme und beide landen in der „Leere“. In der großen Müllhalde aller Universen herrscht die finstere Cassandra Nova (Emma Corrin). Deadpool erkennt, dass er, um seine Welt, seine Freunde und seine große Liebe Vanessa (Morena Baccarin) zu retten, Cassandra entfliehen und auch Mr. Paradox aufhalten muss. Doch zunächst gilt es, den verbitterten Wolverine davon zu überzeugen, ihm zu helfen.
Über Erwartungsmanagment
Es gab mal eine Zeit, in der Marvelfilme das definiert haben, was man gemeinhin „actiongeladenes Blockbusterkino“ nennt. Marvel war in der Lage den Superheldenfilm unglaublich populär zu machen, im Mainstream fest zu verankern und das Anschauen der Endcredits wieder interessant zu machen. Aufwind bekam die Firma als im Mai 2008 Marvels IRON MAN startete und vom Kinopublikum mit sehr viel Liebe bedacht wurde. Im August 2009 kündigte daher The Walt Disney Company an, dass sie Marvel Entertainment übernehmen würde. Die Marke wuchs unter Disney stark und auch bei Disney lief es so gut, dass man im März 2019 durch den Kauf von 20th Century Fox die Filmrechte an vielen Marvel-Charakteren, darunter auch Deadpool, erwarb. Leider setzte die Disneytochter in den kommenden Jahren vermehrt auf Quantität als auf Qualität. Das merkte man den Projekten auch zunehmend an. Und Deadpool spielt hier eine Sonderrolle, denn Deadpool machte sich immer schon über die Erzählmuster und Motive des Superheldenfilms lustig. Und eben weil Marvel in letzter Zeit nicht mehr liefert, lagen nun die Hoffnungen auf DEADPOOL & WOLVERINE, den potenziellen Rettern des MCUs. Als die ersten Kritiken zum Film hereingeflattert sind, ist mir ein Satz eines Kritikers besonders im Gedächtnis geblieben. Der Film mache großen Spaß und der Gang ins Kino lohne sich auch, aber das MCU könne er nicht retten. Man solle bitte die Erwartungen herunterschrauben. Also habe ich genau das gemacht.
Die Zielgruppe für diesen Film
Bereits im Intro wird der Ton des Films etabliert. Deadpool kämpft mit den Adamantium-Knochen und -krallen des verstorbenen Wolverine gegen eine Horde TVA-Agenten in einem verschneiten Waldstück. Die spratzenden, blutigen Körperteile kommen in dieser unschuldigen-weißen Umgebung besonders gut zur Geltung. Der Film spart – wie immer – nicht an drastischer Sprache und erhielt deshalb auch eine FSK 16-Freigabe. Um DEADPOOL & WOLVERINE wirklich zu genießen, sollte man möglichst wenig im Vorfeld über den Film erfahren. Die Cameos und unerwarteten Wendungen tragen nämlich erheblich zum Unterhaltungswerts des Films bei. Gleichzeitig setzt der Film ein tiefes Verständnis des Marvel- und X-Men-Universums voraus, um diese Eastereggs und Referenzen überhaupt als solche zu identifizieren. Deadpool haut hier Gags raus, wie z.B. „Fuck You, Fox! I’m Going To Disneyland!”, die natürlich nur von denen im Publikum verstanden werden, die auch die ganze 20th-Century-Fox-Disney-Rechte-Historie im Hinterkopf haben. Das stellt insbesondere für diejenigen Zuschauer eine Herausforderung dar, die die Superheldenfilme, die Anfang der 2000er in die Kinos kamen, nicht mehr kennen.
Deadpool und die Nebenrollen
In X-MEN ORIGINS: WOLVERINE (2009) waren Deadpool und Wolverine das erste Mal auf der Leinwand miteinander zu sehen. Und seitdem gibt es diesen freundschaftlichen Zwist zwischen Reynolds und Jackman. Denn Reynolds war absolut nicht zufrieden mit der damaligen Inszenierung von Deadpool. Nachdem in ORIGINS Deadpool nur eine Randnotiz in der Geschichte des namensgebenden Helden war, ist es hier jetzt Wolverine, der nun eine eher untergeordnete Rolle spielt. Und das obwohl auch sein Name im Titel steht. Wer also wegen Wolverine ins Kino geht, sollte die Erwartungen definitiv herunterschrauben. Dennoch hat man nie das Gefühl, dass Jackman Probleme damit hätte der Stichwortgeber für Reynolds zu sein. Den Spaß an der Verballhornung der gemeinsamen Vergangenheit ist in jeder Szene spürbar. Dennoch sind eigentlich alle Rollen, abgesehen von Deadpool, Nebenrollen. Der Fokus liegt klar auf Deadpool. Und so sind auch die zahlreichen Cameos und Gegenspieler nicht besonders ernstzunehmen, da ihnen Tiefgang fehlt. Matthew Macfadyen hat sichtlich Freude an seiner Rolle als Mr. Paradox. Sein Charakter, der zunächst wie ein hochnäsiger Beamter wirkt, offenbart wenig später seine Allmachtsfantasien, was ihm zumindest ein bißchen Tiefgang verleiht. Auch Emma Corrin als Cassandra Nova bekommt wenig Text um etwas aus ihrer Rolle herauszuholen, kann das aber durch ihre Präsenz wieder etwas ausgleichen.
Gucken oder nicht?
Ob man mit DEADPOOL & WOLVERINE Spaß hat, hängt – wie schon erwähnt – mit der eigenen Erwartung und auch dem persönlichen Humor-Geschmack zusammen. Wer derben, trockenen, überzeichnet-blutigen Humor schätzt, der bisweilen nicht nur im übertragenen Sinne unter die Gürtellinie geht, wer die früheren Deadpool-Filme aufgrund ihrer Metaebene mochte, wer keine kluge Inszenierung oder Handlung braucht und stattdessen einen actiongeladenen Film sucht, bei dem man den Kopf mal für 2 Stunden ausschalten kann, dann ist man mit DEADPOOL & WOLVERINE wirklich gut bedient. Ich stimme allerdings auch der Einschätzung zu, dass dieser Film das MCU nicht retten wird. Es ist leicht verdauliche Kost. Der Film macht großen Spaß, aber es ist keine Substanz dahinter. Die Figuren sind alle nur da um Oneliner vom Stapel zu lassen oder Deadpool gut aussehen zu lassen. Und doch: was für ein Spaß!
8.5/10