Es kommt ja wirklich selten vor, dass mir der deutsche Filmtitel besser gefällt als das englische Original, aber in DER VERLORENE SOHN steckt viel mehr drin. Das Gleichnis aus der Bibel fasst gleichzeitig die Geschichte gut zusammen. In einer Kleinstadt in den amerikanischen Südstaaten wächst Jared (Lucas Hedges) als Sohn eines Baptistenpredigers auf. Im Alter von 19 Jahren wird Jared von einem College-Mitstudenten als schwul geoutet. Seine Eltern wissen nicht wie sie damit umgehen sollen. Jareds Vater Marshall (Russell Crowe) und seine Mutter Nancy (Nicole Kidman) sowie die konservative Gemeinde schicken Jared zu einer von der Kirche unterstützten Reparativtherapie. Die soll ihn von seiner Homosexualität “heilen”. Anderenfalls will Marshall ihn nicht mehr unter seinem Dach leben lassen. Unter diesem Druck nimmt der junge Mann notgedrungen an dem entwürdigenden, unmenschlichen und absurden Umerziehungsprogramm des erbarmungslosen Therapeuten Victor Sykes (Joel Edgerton) teil. Die Filmbiografie basiert auf den Memoiren von Garrard Conley, dessen Buch “Boy Erased” 2017 veröffentlicht wurde. Die Namen der Figuren wurden aber in der Filmadaption geändert.
Biografieverfilmung mit australischer Note
So ein bißchen spürt man bei diesem Film schon die Australia-Connection. Russell Crowe und Nicole Kidman als Eltern, Joel Edgerton als zweifelhafter Therapeut. Nach dem Psychothriller THE GIFT (2015) behandelt die zweite Regiearbeit von Joel Edgerton den Horror einer ganz anderen Art: die sogenannte Konversionstherapie. Dabei handelt es sich um die äußerst umstrittene Methode bei der man Homosexuelle umerziehen möchte. Besonders in religiös geprägten Gegenden hält man Homosexualität immer noch für eine psychische Störung. Die könne man mit genügend Gebeten, der Lektüre von religösen Texten und Sport heilen. Alle führenden internationalen psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften lehnen solche Behandlungsversuche ab. Homosexualität ist keine Krankheit und davon abgsehen kann diese Therapie eine schädigende Wirkung für die Therapierten haben. In Deutschland prüfen momentan mehrere Bundesländer ein Verbot dieser Therapieform. Der Film kann durchaus einen Anstoß zur Debatte bieten.
Starker Stoff, schwache Umsetzung
Obwohl die Geschichte eine starke Botschaft hat, kommt BOY ERASED ziemlich formelhaft daher. Das zeigt sich schon in den ersten Minuten des Films. Aufnahmen vom jungen Jared. Verpixelte Bilder. Ein süßes Kinderlachen. Und schon ist man in der Geschichte. So leicht das natürlich nicht. Über weite Strecken zieht sich der Film schon sehr. Das liegt auch an den zahlreichen Rückblenden, die parallel zur den zweifelhaften Behandlungsmethoden in Jareds Erinnerung auftauchen. Man hat dadurch das Gefühl, dass der Film zu viel erzählen möchte. Jede Regung wird analysiert. Schon fast überanalysiert. Die gezeigten Mittel der „Umpolung“ haben zwar durchaus Kopfschütteln und Stirnrunzeln bei mir verursacht. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich mir Sorgen um Jared machen müsste. Lediglich am Ende als man ihn gegen seinen Willen festhalten möchte, wurde ich tatsächlich mal kurz unruhig. Und gerade das halte ich bei diesem Film, der aufklären möchte und auch zahlreiche Nachteile dieser Therapieform aufzeigt, für weniger gelungen. Wenn man Empathie erzeugen will, dann muss die Hauptfigur auch glaubhaft und „echt“ herüberkommen. Durch die filmischen Mittel gelingt das aber nur teilweise.
3.5/6 bzw. 6/10
Okay, du bist mit der Hauptfigur auch nicht so recht warm geworden. Geht mir also nicht allein so.