Für ALL ABOUT EVE habe ich mehrere Anläufe gebraucht. Hier mal eine halbe Stunde, da mal eine halbe Stunde. Diese Unentschlossenheit meinerseits liegt in erster Linie an der Inszenierung von Ivo van Hove, der sich zu sehr in technischen Feinheiten verliert als die Geschichte zu erzählen. Im Zentrum steht das Verhältnis von Eve Harrington (Lily James) zum Theaterstar Margo Channing (Gillian Anderson). Eve ist glühender Fan von Margo. Nach einer Vorstellung wird Eve von Karin Richards (Monica Dolan), einer engen Freundin von Margo, in ihre Garderobe geholt. Margo nimmt die junge Frau schließlich unter ihre Fittiche und bald macht sich diese in Margos Leben unentbehrlich. Doch bald wird Margo misstrauisch und unterstellt ihrem Liebhaber, dem Regisseur Bill (Julian Ovenden), er interessiere sich für Eve.
Parasit
Ein bißchen erinnert die Handlung an den Film PARASITE. Man schleimt sich bei jemandem mit Geld und Einfluss ein um dann selbst ein Nutznießer des Geldes und des Einflusses zu werden. Leider finde ich Lily James für diese Rolle nicht unbedingt gut gecastet. Ich habe ihr diesen Hunger für die Karriere zu keinem Zeitpunkt abgekauft. Zudem wirken Szenen, in denen sie die Kleider von Margo umarmt oder lasziv versucht den Kritiker Addison DeWitt (Stanley Townsend) zu umgarnen, schon fast zum Fremdschämen. Im direkten Kontrast brilliert hingegen Gillian Anderson, die in der Rolle als alternde Grande Dame des Theaters förmlich aufgeht.
Kamera im Spiegel
Interessanter Kniff der Inszenierung sind beispielsweise Kameras, die in Spiegel verbaut wurden. Das Bild wird zeitglich über die hintere obere Bühnenwand übertragen. Dadurch sieht man auch die Mimik aller Personen, die dem Publikum den Rücken zuwenden. Außerdem wird die Kamera auch für besondere Effekte benutzt. So schaut Margo in den Spiegel und plötzlich wird ihre Haut runzelig und die Haare werden grau. Oder das Bild von Eve wird kurzzeitig zu einem Bild von Margo gemorpht um zu zeigen, wie sich Eve selbst wahrnimmt. Dass die eigene und die Fremdwahrnehmung differieren, kann somit gut gezeigt werden. Überhaupt ist das Grundthema des Stücks das Verhältnis von Stars und Fans, aber auch über Frauen in der Gesellschaft, genauer gesagt, die Angst vor dem Älterwerden und die Angst vor der eigenen Irrelevanz. Leider gibt es aber viel zu wenig Szenen, in denen das explizit herausgearbeitet wird.
Seid skeptisch!
Was mich so grundsätzlich gestört hat, war, wie schnell die Prominenten fremde Leute in ihrem Leben aufnehmen. Sie hinterfragen die Motive der Menschen in ihrem Leben sehr viel häufiger, wenn sie die Personen schon lange kennen. Diese Skepsis wäre bei neueren Bekanntschaften doch eigentlich sehr viel logischer. Doch dieser Umstand wird überhaupt nicht thematisiert. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ALL ABOUT EVE immer dann, wenn es interessant wird, nicht in die Richtung weitergeht, sondern sich wieder einem seichten Thema zuwendet. Nachdem ich jetzt an mehreren Stellen gelesen habe, dass diese Inszenierung bei weitem nicht so gut wie die Verfilmung aus dem Jahr 1950 sein soll, habe ich große Lust auf den Film bekommen.
6.5/10
Das Theaterstück ALL ABOUT EVE ist momentan im Streamingangebot von NTatHome enthalten. (Stand: April 2022)