Stanley Kubricks UHRWERK ORANGE, eine Romanadaption von Anthony Burgess, sorgte bei der Veröffentlichung für ordentlich Wirbel. Man echauffierte sich über die Gewalt- und Sexszenen. Kubrick und dessen Familie sollen auch bedroht worden sein. In Großbritannien wurde die Vorführung sogar ganz verboten. Erst mit Kubricks Tod änderte sich dies. Protagonist Alexander DeLarge (Malcolm McDowell) ist der Anführer einer Jugendbande, den sogenannten Droogs. Die desillusionierten Jungs leben in einer trostlosen Zukunft und haben nichts zu tun. Aus Langeweile prügeln sie sich mit anderen Banden, vergewaltigen, überfallen ahnungslose Hausbesitzer oder verprügeln Betrunkene auf der Straße. Alex hat neben seinen Droogs nur noch ein weiteres Hobby: Beethoven hören. Eines Abends brechen die Jungs in die Villa des Schriftstellers Frank Alexander (Patrick Magee) ein und vergewaltigen dessen Frau (Adrienne Corri) in dessem Beisein. Doch bald darauf beginnt es in der Gruppe zu kriseln. Der Führungsstil von Alex wird von den Anderen infrage gestellt. Durch Brutalität gegenüber seinen Freunden festigt er zwar vorübergehend seine Position, doch als er bei einem weiteren Einbruch die Frau des Hauses (Miriam Karlin) erschlägt, wird er beim Verlassen des Hauses von seinen Droogs mit einer Flasche ins Gesicht geschlagen. Die gerufene Polizei kann ihn daher ohne Zwischenfälle festnehmen. Für den Mord wird Alex zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Dort erfährt er von einer wissenschaftlicher Methode, der „Ludovico-Technik“, die von der neuen Regierung als Therapie in Erwägung gezogen wird. Sie soll die Kriminalitätsrate senken und damit die überfüllten Gefängnisse entlasten. Alex bietet sich freiwillig als Proband an. Mit weitgeöffneten Augen muss er immer und immer wieder Lehrfilme mit brutalen Inhalten ansehen. Vor den Sitzungen wird ihm ein Serum verabreicht, das beim Anblick von Gewalt starke Übelkeit hervorruft. Dadurch wird es für Alex immer schwieriger körperliche und sexuelle Gewalt zu ertragen. Nach 14 Tagen wird Alex als geheilt entlassen, doch er ist auch nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Beim geringsten Gedanken an Gewaltausübung oder sexuelles Begehren überfallen ihn wieder Übelkeit und akuter Brechreiz. Als unbeabsichtigter Nebeneffekt treten die Symptome auch beim Hören von Beethovens 9. Sinfonie auf, da sie in einem der Lehrfilme als Hintergrundmusik verwendet wurde. Alex stellt fest, dass seine Eltern (Philip Stone, Sheila Raynor) sein Zimmer inzwischen vermietet haben und ihn auch nicht mehr im Haus haben wollen. Hoffnungslos irrt er nun umher und kann sich nicht mehr gegen seine Peiniger verteidigen.
Beethovens Rache
Burgess‚ Zukunftvision sieht düster aus. Die Jugend streunert herum, versucht die Zeit totzuschlagen und verprügelt oder vergewaltigt jeden, der sich ihnen in den Weg stellt – einfach so, aus Spaß an der Freud‘. Alex‘ Weg vom Saulus zum Paulus ist gepflastert mit Entbehrungen und Kubrick schafft es, dass man Mitleid mit Alex empfindet. Der Film behandelt in erster Linie Ursache und Wirkung, Gewalt und Strafen, aber auch moralische Fragen zur Rache: Wenn ich die Möglichkeit habe, mich an meinem Peiniger zu rächen, darf und sollte ich das tun? Auch die Rolle der Gesellschaft wird in Frage gestellt. Die Therapie soll die kaputte Gesellschaft von ihrer hohen Verbrechensrate befreien, doch die Therapie ändert nur den Kriminellen, nicht aber die Gesellschaft im Ganzen. Es ist also von vornherein klar, dass die neuartige Foltertherapie auf lange Sicht keinen Fortschritt bringt. Moralische Bedenken seien irrelevant, hauptsache sei doch, es funktioniere, sagt der Wissenschaftler, nachdem Alex als geheilt eingestuft wird. Interessanterweise taucht auch Film im Film auf. In UHRWERK ORANGE ist das Medium kein Unterhaltungs-, sondern ein Lernmedium, welches aber auch als Strafe eingesetzt wird. Malcolm McDowell liefert eine furchteinflößende und in Teilen auch recht lustige Performance ab. In einem Interview zum → 40. Jubiläum des Films gab McDowell zu Protokoll, er habe während der Dreharbeiten gedacht, der Film sei eine schwarze Komödie und er habe die Rolle des Alex auch so angelegt.
Musikalischer Hochgenuss
Besonders die Musik ist beinahe immer inkonsistent eingesetzt. Grauenhafte Szenen werden noch viel grauenvoller durch ein → locker gesungenes „Singin‘ in the rain“, Raubzüge werden mit Rossinis „The thieving magpie“ (Die diebische Elster) unterlegt [SHERLOCK-Fans kennen die Melodie aus der Reichenbach-Folge, in der Moriarty die Kronjuwelen stiehlt.]. Diese musikalischen Entscheidungen wirken aus heutiger Sicht teilweise sehr lustig und sorgen für den ein oder anderen Lacher, was wiederum für McDowells Theorie der schwarzen Komödie spricht. Weniger schön sind da die Foltermaßnahmen in der zweiten Filmhälfte, die beim Zuschauen wirklich wehtun. Auch wenn die Brutalität aus heutiger Sicht eher banal dargestellt wird, hört der Spaß beim dauergeöffneten Auge von Malcolm McDowell auf. Der Filmtitel wird zu keinem Zeitpunkt erwähnt. Das Uhrwerk Orange beschreibt, wie die Folter auf Alex wirkt. Der Begriff will die Widersprüchlichkeit der Folter deutlich machen. Sie macht ihn wieder gesellschaftsfähig machen, äußerlich ist Alex zwar gesund und intakt, im Inneren jedoch verkrüppelt und begrenzt auf Reflexe, die er selbst nicht mehr kontrollieren kann. Der Mensch funktioniert nur noch wie ein Uhrwerk und nicht mehr wie ein Mensch. Über Kleinigkeiten kann man sicherlich noch streiten: Die immer wieder zur Schau gestellten Phallussymbole als Wohnungsdekoration sind etwas zu viel des Guten. Auch die Tatsache, dass fast alle Frauenfiguren als dumm (öffnen leichtgläubig die Haustür) oder hilflos dargestellt werden, spricht nicht sonderlich für das Frauenbild der Zukunft. Wollen wir hoffen, das sich Kubricks und Burgess‚ Zukunftsvision nicht bewahrheitet.
Definitiv noch immer sehenswert (5/6)
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