So steht es an der Tafel, Anfang der 80er Jahre. Wenn selbst im Lehrerzimmer nur noch zugedröhnte Hippie-Lehrer mit langen Haaren sitzen und sich ein tiefgezogenes Ohhhhm durch die Schulgänge zieht, ja, da kann man schonmal verrückt werden. Die Kumpel Robert (Tom Schilling) und Gries (Frederick Lau) entschließen sich zu einem radikalen Schritt, setzen den Lehrer außer Gefecht, schneiden die Haare ab und hüpfen triumphierend durch das Klassenzimmer. Dieser Vorfall ist nur noch der letzte Tropfen, den es braucht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Angeekelt von der Vorstellung eines braven Lebens als treusorgender Ehemann, trennt sich Robert kurzerhand von der fleißigen Laura (Marie-Luise Lux) und reist nach West-Berlin, das damalige Mekka für Wehrdienstverweigerer, Selbstverwirklicher, Künstler und die, die sich dafür hielten. Ohne Geld in der Tasche verdient er sich bei seinem Kumpel Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) ein wenig Geld, indem er die Wichskabinen einer Peepshow reinigt und den Mädels Essen besorgt. Dort lernt er auch die schöne Amerikanerin Sanja (Emilia Schüle) kennen, die ebenfalls von ihren Eltern geflüchtet ist. Von Alkohol und Drogen umnebelt, beklauen Schwarz und Robert dessen Vater Klaus (Samuel Finzi), der dauerbesoffen in seiner Wohnung noch Geld aus RAF-Zeiten bunkert, um damit einen Drogenring zur Versorgung West-Berlins aufzuziehen. In all dem Chaos trifft Robert nicht nur auf Ikonen wie Nick Cave (Marc Hosemann), Blixa Bargeld (Alexander Scheer) und Rainer Maria Fassbinder, sondern auch wieder auf seinen guten Kumpel Gries.
Kein Unterricht heute – geht demonstrieren!
Genauso abgedreht, wie es der Filmtitel verspricht, wird es dann doch nicht. Nach einem fulminanten Start mit diversen Brüllern verzettelt sich Regisseur Oskar Roehler zu sehr in klamaukigen Drogen- und Suffeskapaden oder in der detailgetreuen Inszenierung diverser Körperflüssigkeiten. Anstatt mehr die politischen Gegegebenheiten und den Gesamtkontext der damaligen Zeit, z. B. was genau an West-Berlin so anziehend war, zu beleuchten, steht Robert als Protagonist im Fokus des Films. Seine Erfahrungen bilden die Grundlage für die Narration. „Komm, wir töten deine Mutter. Und danach fliegen wir nach New York und töten meinen Vater.“ sagt Sanja zu Robert und der geht ohne Protest oder Zweifel mit. Mord wird genauso verharmlost wie Drogen- und Alkoholkonsum (purer Wodka in Trinkgläsern). Dessen verherrende Folgen werden in unscheinbaren Traumsequenzen sichtbar. Nachdem gar nicht in Berlin, sondern in Köln gedreht wurde, zollte man dieser Tatsache dahingehend Respekt, dass alle Außenaufnahmen schwarz-weiß, die Szenen in Innenräumen farbig sind. Ob’s das gebraucht hätte, muss jeder selbst entscheiden.
Abgedrehte Geschichte
Der Film verliert sich irgendwo zwischen München und Ägypten in der Bedeutungslosigkeit. Grenzer werden mit sexy Tanzeinlagen beglückt und sexy Tänzerinnen mit Schweinsbraten. Trotz grandioser darstellerischer Leistungen, besonders von Tom Schilling, Frederick Lau und Samuel Finzi, weiß man nicht, was einem der Film eigentlich sagen will oder ob es eine Moral von der Geschichte gibt. Ein roter Faden ist ungeachtet einer chronologischer Erzählweise nur lose erkennbar. Nach einem starken Anfang plätschert die Geschichte vor sich hin. Musste man zu Beginn noch herzhaft lachen, verwandelt es sich über die 94 Minuten Laufzeit dann eher zu einem müden Lächeln.
Abgedreht und zugedröhnt (3.5/6)
Titelbild und Trailer: © X-Verleih
Und ich hatte mich schon so auf diesen Film gefreut… Nur wegen des Titels… Aber ich habe die Befürchtung, dass der größte Teil der Handlung ficken und Drogen nehmen ist…
Nein, eigentlich ist es eher eine Aneinanderreihung von absurden Situationen, die einem aber irgendwann dann auf die Nerven geht, weil man sich fragt: Warum ist das jetzt für die Geschichte wichtig? Gibt es überhaupt eine Geschichte? Oder mit anderen Worten: Was will mir der Künstler damit sagen? Keine Frage, die Schauspieler verkaufen sich gut, aber… Es bleibt trotzdem ein großes Fragezeichen hinter diesem Film.
Den hab ich eigentlich auch auf meiner Kinoliste. Aber das klingt jetzt nur nach Durchschnitt. Na mal schauen, ob ich mir den doch antue oder das Kinogeld eher spare.
Lieber das Geld für VICTORIA von Sebastian Schipper aufheben. 😉
Oh ja, auf den bin ich auch sehr gespannt. 🙂
Allein der Trailer lehrt einem das fürchten! Man versucht sich mehr denn je an Subkultur-Portraits, leider kommt dabei nur Scheiße herum. So interessant die technischen Details hinter VICTORIA klingen mögen, auch hier könnte ich bei der Plot-Zusammenfassung schon wieder ausreißen, schreiend: „Warum?“ Werden denn gar keine subtilen Filme mehr gedreht?
Es grüßt, Janek
Das Kino steckt ja generell in der Krise und das deutsche Kino ja gleich doppelt und dreifach (ich erinnere nur an die nötigen Reformen bei der Filmförderung und die Schwemme von Til-Schweiger-Gedächtnis-Komödien und Historienstreifen wie aktuell Oliver Hirschbiegels ELSER). Daher freue ich mich auch schon rießig, wenn ich mal einen deutschen Film sehen darf, der keine (Rom-)Komödie oder ein Historienfilm ist. Das, Frederick Lau und Tom Schilling sind auch die drei Gründe warum ich mir TOD DEN HIPPIES überhaupt erst angeschaut habe. Und ich finde nicht, dass deutsche Subkultur-Portraits prinzipiell schlecht sind. KREUZWEG von Dietrich Brüggemann über die strenggläubige Pius-Bruderschaft war optisch wie narrativ wirklich großartig und durchdacht. Es gibt durchaus diese Perlen, aber man muss sie halt suchen. TOD DEN HIPPIES ist keine, aber VICTORIA ist durchaus einen Blick wert.
Zurück grüßt Franzi 🙂