Nach 18 Jahren West-End-Abstinenz wird SKYLIGHT vom Dramatiker David Hare wieder gezeigt. Der Clou an der Sache: Bill Nighy, der schon damals die männliche Hauptrolle gespielt hat, ist auch hier wieder mit dabei. Die Neuauflage der Geschichte unter der Regie von Stephan Daldry spielt nur an einem Ort, einer kleinen eiskalten Wohnung, in der die Lehrerin Kyra Hollis (Carey Mulligan) alleine lebt. Kyra kommt abends völlig erledigt von der Arbeit und bekommt unerwartet Besuch von Edward Sargeant (Matthew Beard). Edward erzählt sein Vater würde sich seit dem Tod seiner Mutter Alice komisch verhalten und wie ihn dessen Benehmen aus dem Haus getrieben hat. Kyra kennt die Familie gut. Als sie mit 18 nach London kam, wurde sie kurzerhand von Alice als Kellnerin eingestellt. Edward fragt Kyra, warum sie die Familie verlassen habe, doch sie antwortet nicht, und Edward geht. Kurze Zeit später klingelt es wieder. Es ist Tom Sargeant (Bill Nighy), Edwards Vater. Er ist Besitzer mehrerer Restaurants und Hotels und erfolgreicher Unternehmer. Dieser erzählt ihr wie toll es gerade bei ihm läuft, welche Probleme er mit Edward hat und auch wie sehr er sie vermisst hat. Kyra hatte die Familie verlassen, nachdem Alice herausgefunden hatte, das Tom und Kyra eine Affäre hatten. Tom erzählt ihr, wie es ihm inzwischen ergangen ist und das Alice an Krebs verstorben ist. Im Laufe der Nacht entbrennen nicht nur Debatten darüber, wie man eine ordentliche Soße Bolognese zubereitet und wie schäbig die Wohnung eingerichtet ist, sondern auch über das gesellschaftliche Verhalten der Oberschicht im Bezug auf die Unterschicht.
Schuld, Sühne und Kapitalismuskritik
Die Pause kommt schnell, zu schnell. Überrascht schaut man auf die Uhr und fragt sich wie so schnell eineinhalb Stunden vergehen konnten. Dies liegt vor allem an der hohen Gagdichte, die besonders von Bill Nighy und Matthew Beard ausgehen, während Carey Mulligan eher die Rolle der zynischen Kommentiererin einnimmt. Besonders witzig wird es an den beiden Stellen, an denen Bill Nighy Matthew und Carey Mulligan Bill parodiert. Den Herren kann man schauspielerisch keinen Vorwurf machen. Mulligan ist manchmal etwas zu farblos. Sie hört eher zu anstatt einen Streit vom Zaun zu brechen. Größere Schwächen hat da nur noch das Skript. Es wird erzählt, dass Kyra und Tom sechs Jahre eine Affäre hatten, bis Alice es herausgefunden hat. Weiter wird erklärt, dass Alice vor einem Jahr verstorben ist. Außerdem soll dies das erste Aufeinandertreffen von Tom und Kyra seit ihrem Weggang sein. Frage: Warum erst jetzt? Warum kommen in der gleichen Nacht sowohl Edward als auch Tom zu ihr in die Wohnung? Woher wissen sie überhaupt, wo Kyra wohnt? Zudem wechselt die Stimmung und das Thema unglaublich schnell. Ist gerade noch alles in Ordnung und es wird geknuddelt, ist im nächsten Moment ein wilder Streit im Gang, ein Besteckkasten fliegt, und es wird über die Rolle der Gesellschaft debattiert. Die Geschichte mag sich nicht recht entscheiden: bin ich eine Liebesgeschichte oder eine Gesellschaftskritik? „Beides“ würde wahrscheinlich Autor David Hare antworten. Doch beides zusammen passt irgendwie nicht. Beides stößt sich – zumindest in diesem konkreten Fall – ab wie zwei gleichpolige Magnete, die man zu verbinden versucht.
Die Kameraarbeit ist wunderbar unaufgeregt und setzt genau an den richtigen Stellen Akzente (Nahaufnahme, wenn Tom Kyras Hand berühren will und sie ihre Hand wegzieht). Überraschend ist, wie aktuell das Skript immer noch ist. Das „Selbstmitleid der Reichen“ als modernes Phänomen ist immer noch ein Thema. Kyras Wutrede über die Oberschicht, die keine Ahnung mehr hat, welche Arbeit Sozialarbeiter und Lehrer haben um die Jugend von der Straße und vor Dummheiten zu bewahren, bekam Szenenapplaus. Jetzt kann man sich natürlich fragen, inwiefern es inkonsequent ist, zwei sicherlich gut bezahlte Film- und Theaterschauspieler über „die da oben“ schimpfen zu lassen, wenn sie selbst zu „denen da oben“ gehören. Aber gut. Alles in allem ist SKYLIGHT eine amüsante Liebesgeschichte mit der häufig geschwungenen Moralkeule. Muss man mögen.
Tolle Schauspieler, inhaltliche Schwächen (4.5/6)
© National Theatre London/NT Live
„Jetzt kann man sich natürlich fragen, inwiefern es inkonsequent ist, zwei sicherlich gut bezahlte Film- und Theaterschauspieler über “die da oben” schimpfen zu lassen, wenn sie selbst zu “denen da oben” gehören.“
-> Im Prinzip gibt es dieses Problem ja immer, aber in England steht die „Oberschicht“ natürlich viel stärker für die hineingeborene Oberschicht, weniger für die, die sich das Geld erarbeitet haben. Und ich glaube, gerade Schauspieler wissen sehr genau, wie es ganz unten aussieht…
Ich fand ja übrigens Carey Mulligan gar nicht blass, schon interessant, wie unterschiedlich man so etwas wahrnehmen kann. Auch das Script von David Hare fand ich ja fantastisch, die von dir angesprochenen inhaltlichen Lücken sind mir überhaupt nicht aufgefallen und stören mich auch weiterhin nicht.