Schachnovelle (2025)

Es folgt eine Auflistung mehrerer Ereignisse, die sich im Frühjahr/Sommer 2025 zugetragen haben und die an dieser Stelle stichpunktartig zusammengefasst wurden. „DIE AFFÄRE CUM-EX ist wirklich gut besetzt. Wie heißt denn dieser sehr gute Schauspieler?“ – Google-Recherche – „Nils Strunk. Der Name kommt mir so bekannt vor. Wo habe ich den denn schonmal gelesen?“ – Erneute Google-Recherche – „Auf der Burgtheater-Webseite. Wo auch sonst? Wieso sind denn momentan alle guten Leute in Wien?“ – Klick aufs Profil – „…er war früher am Residenztheater in München…“ – → überraschtes Pikachu-Gesicht von der Autorin dieser Zeilen, die in München wohnt, aber das damals wohl nicht mitbekommen hat – Theaterstücke mit Nils Strunk: SCHACHNOVELLE – „Monolog und Musiktheater, hätte ich schon Lust drauf“ – Burgtheater-Spielplan checken – „Samstagstermin, aber ausverkauft“ – „Montagstermin im nächsten Monat, schon jetzt ausverkauft“ – „super-spontaner Überraschungstermin mit Ankündigung einen Tag vorher, Anfang Juli, innerhalb von 24 Stunden ausverkauft?! WHAT THE FUCK IS HAPPENING?“

Offenbar hat das Burgtheater da „einen raren Vogel an Bord“. In Stefan Zweigs SCHACHNOVELLE wird so aber der Schachweltmeister Mirko Czentovic (Nils Strunk) bezeichnet. Der befindet sich 1939 an Bord eines Passagierschiffs mit Fahrziel Buenos Aires. Ebenfalls an Bord befindet sich ein namenloser Erzähler (ebenfalls Nils Strunk), der von Czentovic ganz fasziniert ist und ihn gerne treffen möchte. Um dessen Neugier zu wecken, initiiert er mit einigen Mitreisenden ein provisorisches Schachturnier.

Szenenbild aus SCHACHNOVELLE - Burgtheater München - © Tommy Hetzel
© Tommy Hetzel

Klaviertasten werden zu Schachfeldern

Um es kurz zu machen: Der Hype ist real und der Hype ist absolut gerechtfertigt. Dieser Abend ist ein Traum und wird hoffentlich noch lange im Spielplan des Burgtheaters zu finden sein. Strunk spielt alle Rollen selbst. Der Schauspieler rezitiert und spielt Zweigs Novelle oft wörtlich nach, während die dreiköpfige „Schiffskapelle“ (Martin Ptak, Hans Wagner und Jörg Mikula) das Geschehen musikalisch begleitet. Aber auch Strunk sitzt nicht selten am Klavier und spielt mit der rechten Hand eine Melodiefolge, während er die linke Hand zum Gestikulieren benutzt und dem Publikum zugewandt die Geschichte weitererzählt. Das Schwarz-Weiß der Klaviertasten passt ausgezeichnet zum Schwarz-Weiß des Schachbretts. Die Posaune wird zum Schiffshorn umfunktioniert. Das Geniale an dieser Inszenierung ist, dass Strunk das Schachspiel komplett musikalisch übersetzt. Schachkenntnisse sind seitens des Publikums daher überhaupt nicht vonnöten, da Strunk stümperhafte und geniale Schachzüge auf musikalische Weise vertont und zeigt, wer gerade die Oberhand hat. Text und Ton ergänzen und interpretieren einander. Der Abend würde auch als reines Hörspiel gut funktionieren.

Szenenbild aus SCHACHNOVELLE - Burgtheater Wien - Nils Strunk - © Tommy Hetzel
Nils Strunk – © Tommy Hetzel

Aus Spaß wird Ernst

Das musikalische Spektrum reicht von eigens komponierten Liedern (Musik: Strunk, Texte: Lukas Schrenk) bis hin zu Walzer, Jazz und Tango. Zu Beginn des Stücks ist die Handlung als auch die Musik voller Humor und Leichtigkeit. Mit Auftauchen von Dr. B, einem weiteren Schachprofi an Bord, bekommt die Geschichte eine ernste Note. Die 1942 veröffentlichte Novelle thematisiert nämlich auch die Grausamkeit der Nazidiktatur und die psychischen Folgen für die Opfer – dargestellt anhand des Schachspielens. Autor Stefan Zweig hat die SCHACHNOVELLE 1941 und 1942 im brasilianischen Exil geschrieben und nahm sich dort 1942 das Leben. Zur Trostlosigkeit passen sehr gut die schwarz-weißen Kohlezeichnungen von Herbert Nauderer. Im Lauf des Abends schiebt Strunk Aufsteller mit dessen Kohlezeichnungen von Bullaugen, einem Haus oder einem dem Publikum den Rücken zukehrenden Kind auf die Vorderbühne hin und her. Das sorgt vereinzelt für minimale Längen, da es manchmal etwas dauert, bis das richtige Bild an der richtigen Stelle steht.

Szenenbild aus SCHACHNOVELLE - Burgtheater Wien - Nils Strunk - © Tommy Hetzel
Nils Strunk – © Tommy Hetzel

Ein Must-See!

Aber das ist wirklich Jammern auf extrem hohem Niveau. Die SCHACHNOVELLE im Burgtheater muss man einfach gesehen haben. Die Idee, Schachzüge musikalisch zu vertonen und damit die psychologische Ebene der Novelle hörbar zu machen, funktioniert perfekt. Nils Strunk und sein Drei-Mann-Orchester gelingt die Balance zwischen leichter Unterhaltung und ernsthafter Auseinandersetzung ausgesprochen gut. Die Verfolgung durch die Nazis, die Isolationshaft von Dr. B., sein psychischer Zusammenbruch – all das wird nicht beschönigt oder verharmlost. Gleichzeitig macht die musikalische Umsetzung den Abend zugänglich und unterhaltsam, ohne dabei respektlos zu werden. Das Publikum quittierte den Abend mit Standing Ovations. Zu Recht! Nach der letzten Zugabe – während das Bühnenbild bereits abgebaut wird – herrscht noch Festivalstimmung im Saal. Da stört es auch nicht, dass die Bühnenbauer Nils Strunk sein Mikrofon wegnehmen. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man sich den Abend gar nicht mehr anders vorstellen kann und bei dieser SCHACHNOVELLE geht es mir so. Hier verschmelzen Literatur, Theater und Musik zu einem stimmigen Gesamtwerk.

Szenenbild aus SCHACHNOVELLE - Burgtheater - © Tommy Hetzel
Hans Wagner, Martin Ptak, Jörg Mikula, Nils Strunk – © Tommy Hetzel

Bonus-Info: Wie komme ich an Schachnovelle-Tickets?

Für alle Neugierigen, die jetzt auch gerne nach Wien fahren möchten und sich fragen, wie sie denn an die begehrten Tickets rankommen, hier eine Erklärung, wie ich es gemacht habe. Das Burgtheater bietet das sogenannte Wahlabo an. Hier kauft man 4 (oder 10) Gutscheine einer bestimmten Preiskategorie und kann diese dann für vier (oder 10) Theaterstücke am Burgtheater einlösen. Das hat den großen Vorteil, dass man nicht – wie alle anderen – erst zum 10. des Vormonats Karten buchen kann, sondern bereits ab dem 5. Und dieser Vorsprung zahlt sich aus. Zudem kann man das Abo mit anderen Leuten teilen und gegen Aufpreis auch einen Sitzplatz in einer höheren Preiskategorie buchen.

Gesehen am 27.09.2025 im Burgtheater, aber ich komm‘ bestimmt nochmal

9.5/10

Bewertung: 9.5 von 10.

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