Es ist schon ungewöhnlich, wenn im Kino meiner Wahl der Saal für eine Theaterstückübertragung so überfüllt ist, dass das Kino einen zweiten Termin auf den Spielplan setzt. Grund für den Trubel war die Aufzeichnung des Theaterstücks THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST, das vom 21.11.2024 bis zum 25.01.2025 im Lyttelton Theatre in London aufgeführt wurde. Im Zentrum der Geschichte stehen die Junggesellen Algernon (Ncuti Gatwa) und Jack (Hugh Skinner). Sie führen ein Leben voller Vergnügungen und Ausschweifungen. Um ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen mit ihren Freizeitaktivitäten zu vereinbaren, haben beide clevere Ausreden erfunden: Algernon erfindet einen kranken Freund namens Bunbury, um regelmäßig aufs Land zu flüchten, während Jack vorgibt, sich um seinen liederlichen Bruder Ernest kümmern zu müssen, um in die Stadt zu kommen. Jack, der sich in der Stadt stets als sein Bruder Ernest ausgibt, verliebt sich in Algernons Cousine Gwendolen (Ronkẹ Adékọluẹ́jọ́) und macht ihr einen Heiratsantrag. Diese träumt aber davon, einen Mann namens Ernest zu ehelichen. Algernon besucht derweil Jacks Landhaus und gibt sich als dessen Bruder Ernest aus. Dort verliebt er sich in Jacks Mündel Cecily (Eliza Scanlen), die ebenfalls den Namen Ernest für ihren zukünftigen Ehemann als unerlässlich betrachtet.

Camp-Ästhetik trifft auf zeitgemäße Inszenierung
Die Inszenierung von Max Webster beeindruckt besonders durch ihre Schauwerte. THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST präsentiert sich in einer Ästhetik, die wunderbar mit dem Ursprungsgeist von Oscar Wilde harmoniert. Die Aufführung zelebriert ein hemmungsloses „Zuviel des Guten“ – genau jenen Camp-Stil, als dessen früher Vertreter Wilde selbst gilt. Das Stück verbindet auf gelungene Weise historische Elemente mit zeitgenössischen Akzenten. Auch die Bühne hat Rae Smith mit überbordender Fantasie gestaltet. Prächtige, wallende Kostüme in leuchtenden Farben betonen die Extravaganz der Figuren. Ncuti Gatwa strahlt in seinem grün-blauen Anzug ebenso wie im auffälligen pinken Kleid. Die musikalische Untermalung überrascht mit modernen Pop-Songs. Wenn „Marry You“ von Bruno Mars erklingt oder „Girls Just Wanna Have Fun“ von Cyndi Lauper vorkommt, schlägt das Stück eine amüsante Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Diese musikalischen Elemente verleihen der Aufführung eine zeitgemäße Note.

Spaß am Spiel
Die gesamte Besetzung von THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST spielt mit ansteckender Freude. Besonders Ncuti Gatwa (aktueller Doctor aus DOCTOR WHO) zeigt als Algernon eine mitreißende Spiellust. Er verkörpert die Rolle mit Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, dass man seine Figur sofort ins Herz schließt. Hugh Skinner gibt einen herrlich verklemmten Jack, der zwischen gesellschaftlicher Etikette und seinen eigenen Wünschen gefangen ist. Zu erwähnen ist auch Sharon D. Clarke, die als permanent schlecht gelaunte Lady Bracknell über die Zukunft von Algernon und Gwendolen entscheiden möchte. Die Chemie zwischen den Hauptfiguren ist definitiv da und treibt die komischen Elemente des Stücks voran. Zum überspitzten Stil der Inszenierung und zur komischen Handlung des Stücks passt das konstante Overacting aller Darstellenden perfekt. Niemand hält sich zurück. Alle haben sichtlich Spaß an der Übertreibung.

Irritierende Rahmung
Während das eigentliche Stück wahnsinnig gut unterhält, wirken Prolog und Schlussszene seltsam vom Hauptteil abgekoppelt. Im Prolog sitzt Algernon im pinken Kleid am Klavier und die anderen Darsteller tanzen als Gentlemen um ihn herum. Eine klare Anspielung auf „Diamonds Are the Girls Best Friends“ von Marilyn Monroe. Das Intro erinnert deshalb auch an ein Musikvideo. Der Curtain Call gleicht dann einer exzentrischen Modenschau. Beiden Elementen fehlt die inhaltliche Verbindung zum Hauptteil – sie haben keinen erkennbaren roten Faden und stehen für sich alleine im Raum. Diese konzeptionelle Schwäche trübt den Gesamteindruck jedoch nur minimal. THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST hat mich sehr gut unterhalten. Die Farben der Kostüme, die Absurditäten der Handlung und das fantastische Ensemble haben mir gut gefallen. Oscar Wilde hätte an dieser Interpretation seiner Komödie sicherlich auch große Freude.
8/10