An Enemy of the People (2024)

Thomas Ostermeiers Inszenierung von AN ENEMY OF THE PEOPLE im Duke of York’s Theatre knüpft an seine Arbeit an der Schaubühne Berlin aus dem Jahr 2012 an. Mit der Neuauflage von Ibsens Klassiker wirft Ostermeier einen provokanten Blick auf die Themen Wahrheit, Macht und die Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Im Zentrum der Handlung steht dabei Dr. Thomas Stockmann (Matt Smith), der eine gesundheitsschädigende Verunreinigung im Wasser des örtlichen Badeorts entdeckt. Sein Kampf, die Wahrheit gegen den Widerstand seines Bruders, dem örtlichen Bürgermeister Peter Stockmann (Paul Hilton), und der Gemeinschaft zu verteidigen, stellt seine Überzeugungen auf die Probe. Unterstützt wird er von seiner Frau Katharina (Jessica Brown Findlay) und weiteren Verbündeten. Doch die Stadtgemeinschaft entzweit sich zunehmens ins zwei Lager.

Szenenbild aus AN ENEMY OF THE PEOPLE - Photo by Manuel Harlan
Die vier Freunde musizieren zusammen. – Photo by Manuel Harlan

Kreidezeichnungen

Die Kreidemalereien an den Wänden, zusammen mit Brainstorming-Skizzen und Weisheiten an den Wänden („if you run into the Buddha on the street, kill him!“), Rotweinflaschen auf einem langen Tischtisch, umgeben von Mikrofonen für die Musikaufnahmen, erinnern an Kommunen und Hausbesetzungen. Sie verstärken auch das Gefühl von Widerstand – vielleicht sogar ein Schuss von Anarchie. Dieses unstrukturierte Zuhause der Stockmanns bildet in AN ENEMY OF THE PEOPLE den Ausgangspunkt einer intensiven Suche nach Wahrheit und Integrität. Es macht Spaß sich das Bühnenbild anzusehen und Kleinigkeiten zu entdecken. Ebenso wie die Hauptfigur immer tiefer in die Wahrheitsfindung abtaucht, kann sich auch das Publikum im Bühnenbild verlieren.

Szenenbild aus AN ENEMY OF THE PEOPLE - Thomas (Matt Smith) wird vom Geschäftsmann Morten (Nigel Lindsay) unter Druck gesetzt. - Photo by Manuel Harlan
Thomas (Matt Smith) wird vom Geschäftsmann Morten (Nigel Lindsay) unter Druck gesetzt. – Photo by Manuel Harlan

Die Wutreden

Im Verlauf der Geschichte verschiebt sich die Handlung aus den privaten Räumen in eine öffentliche Anhörung. Die Wutrede von Matt Smiths Dr. Stockmann über Ungleichheit und Frust über die herrschenden Systeme stellt einen Höhepunkt von AN ENEMY OF THE PEOPLE dar. Im Anschluss an die mehrminütige Wutrede und dem aufbrandendem Applaus des Publikums, wird das Publikum schließlich gebeten, sich zu der Szene zu verhalten. Es meldet sich ein 88-jähriger Theaterzuschauer. Er erklärt, er habe seiner persönlichen Empfindung nach noch nie so starke Unterschiede und Ungleichheit in der Gesellschaft wahrgenommen. Eine andere Zuschauerin pflichtet Stockmann bei, wenn er sagt, man sei nur noch müde und erschöpft. Man würde diese Müdigkeit damit kompensieren, dass man auf Social Media herumhängt oder Produkte kauft, die man gar nicht braucht. Zum Schluss kommt noch eine ketzerische Frage von den billigen Plätzen. Ja, die gesellschaftliche – auch die kulturelle – Teilhabe sei zunehmend ein Problem. Darum verstehe der Zuschauer auch nicht, warum die Theaterkarten so teuer seien.

Szenenbild aus AN ENEMY OF THE PEOPLE - Thomas (Matt Smith) und Katharina Stockmann (Jessica Brown Findlay) - Photo by Manuel Harlan
Thomas (Matt Smith) und Katharina Stockmann (Jessica Brown Findlay) – Photo by Manuel Harlan

Einer gegen alle

Fans einer gewissen britischen Sci-Fi-Serie werden es mit Sicherheit lieben, dass ihr „Doctor“ auch weiterhin Doktoren verkörpert. Auch die Chemie mit Jessica Brown Findlay ist super. Beide bilden eine starke Einheit. Als Gegenspieler brilliert Paul Hilton als Bürgermeister dessen Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit der Spa-Gäste spürbar ist. Ihn kann man von Herzenslust hassen. Priyanga Burford, in der Rolle der Verlegerin Aslaksen, leitet nicht nur die Redaktion der lokalen Zeitung im Stück, sondern moderiert auch gekonnt durch die Publikumsbefragung. Hinter diesen vier starken Charakteren kommen die anderen Darstellenden nicht immer ganz zum Zug.

AN ENEMY OF THE PEOPLE ist noch bis zum 13. April 2024 im Duke of York’s Theatre London zu sehen.

9.5/10

Bewertung: 9.5 von 10.

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