Prima Facie (2022)

Ich habe nach langer Abwesenheit mal wieder ein Monatsabo für den Streamingservice NTatHome abgeschlossen. Der Grund dafür war der Monolog PRIMA FACIE mit Jodie Comer, den ich damals im Kino verpasst hatte. Comer spielt die brillante Anwältin Tessa. Sie hat sich aus der Arbeiterklasse hochgearbeitet und ist wirklich sehr erfolgreich in ihrem Job. Auch vor heiklen Fällen, wie etwa Vergewaltigungsvorwürfen, macht sie keinen Bogen. Besonders das Kreuzverhör hat es ihr angetan. Doch dieser Enthusiasmus wird stark erschüttert, als sie selbst Opfer eines Verbrechens wird. Sie wird dadurch gezwungen die Position einer Klägerin einzunehmen und sich mit den Grenzen von patriarchalischer Macht des Gesetzes, der Beweislast und der Moral auseinanderzusetzen.

Szenenbild aus PRIMA FACIE - Tessa (Jodie Comer) - Photo by Helen Murray
Tessa (Jodie Comer) – Photo by Helen Murray

Dem ersten Anschein nach….

Der Anscheinsbeweis (auch: Beweis des ersten Anscheins, Prima-facie-Beweis) ist eine Methode der mittelbaren Beweisführung. Er erlaubt, gestützt auf Erfahrungssätze Schlüsse von bewiesenen auf zu beweisende Tatsachen zu ziehen. Die klassischen Anwendungsfälle des Anscheinsbeweises sind die Feststellung von Kausalität und Verschulden im Zivilprozess.

Quelle: → https://de.wikipedia.org/wiki/Anscheinsbeweis

Die Rechtsnatur des Anscheinsbeweises ist bis heute umstritten. Und warum das so ist, erklärt PRIMA FACIE ziemlich gut. Nur, weil ein Sachverhalt auf den ersten Blick relativ klar zu sein scheint, muss es sich nicht zwangsläufig so zugetragen haben. Teilweise bildet das Recht komplexe Sachverhalte auch nicht besonders gut ab. Insbesondere in Straffällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, kann diese Form des Beweises gerne auch zu Ungunsten des Klägers führen, obwohl dieser objektiv im Recht ist. Autorin Suzie Miller zeigt plakativ und eindringlich mit ihrem Monolog, dass eben nicht alle vor dem Gesetz gleich sind und dass es Zeit ist, etwas daran zu ändern.

Szenenbild aus Prima Facie - Tessa - © Helen Murray
Tessa (Jodie Comer) – © Helen Murray

Starke Frau, starker Text

Jodie Comer dominiert von der ersten Minute die Bühne. Mühelos gelingt ihr der Wechsel von amüsanten, leichtfüßigen Szenen zu erschütternden Momenten, in denen man mitleidet und so gerne eingreifen möchte und es doch nicht kann. Insbesondere am Schluss des Stücks versetzt sie dem Publikum mit ihrem emotionalen Spiel einen heftigen Schlag in die Magengrube. Ich saß wirklich tränenüberströmt vor meinem Endgerät und war völlig erschlagen von diesem Stück. Dass PRIMA FACIE nicht nur bei mir einen Nerv trifft, zeigt sich auch an der Vielzahl der Rückmeldungen. Seit der Premiere dieser Inszenierung haben die Macher des Stücks hunderte E-Mails und Beiträge in den sozialen Netzwerken erhalten – auch von Überlebenden von Übergriffen, die ebenfalls eine starke, emotionale Reaktion auf das Stück gezeigt haben.

9.5/10

Bewertung: 9.5 von 10.

PRIMA FACIE kann man noch bis zum 20. April 2023 im Streamingdienst → NTatHome vom National Theatre London anschauen. Triggerwarnung: Enthält Hinweise auf Sex, Gewalt und Vergewaltigung.

Trailer: © National Theatre

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