Als regelmäßige Besucherin des Residenztheater bekomme ich häufig mit, wenn Resi-Schauspielende irgendwo anders auftauchen als auf der Bühne. Neuster Fall: Benito Bause, der in der ARD-Serie ALL YOU NEED den schwulen Medizinstudenten Vince spielt. Als sein Mitbewohner Levo (Arash Marandi) aus der gemeinsamen WG in Berlin auszieht, steht ein neues Kapitel an. Levo zieht zu seinem Freund Tom (Mads Hjulmand) in die spießige Vorstadt. Während für Levo der Traum einer monogamen Beziehung in Erfüllung geht, lernt Vince den Fitnesstrainer Robbie (Frédéric Brossier) kennen. Zwischen den Beiden funkt es sofort. Allerdings hat Robbie einige Geheimnisse, die er vor Vince verbirgt. Während die vier Freunde langsam ihrem Single-Dasein entkommen, gewinnt die Frage nach Freiheiten in einer Beziehung immer mehr an Bedeutung.
Feiern muss man sich da nicht gleich
Als ich vor kurzem in einer geselligen Runde von ALL YOU NEED erzählt habe, ging das Gelächter los. Dabei wurde die Serie an sich inhaltlich nicht infrage gestellt, sondern vielmehr → die Zeit, die es gedauert hat, bis die ARD endlich mal das Thema Homosexualität auf der Agenda hatte. Und es stimmt schon. Sich im Jahr 2021 für die erste deutsche, schwule Serie feiern zu lassen, wirkt schon irgendwie wie aus der Zeit gefallen. Und ja, das ist schon ziemlich lächerlich. Nichtsdestotrotz wird das Thema Diversität in Film und Fernsehen in den letzten Jahren immer wichtiger. Und es ist doch toll, wenn selbst eine alteingesessene Institution wie die ARD merkt, dass sie auf dem Gebiet noch Nachholbedarf hat. Außerdem wurde die Serie – zumindest meinem Empfinden nach – ziemlich offensiv beworben, was ebenfalls eher untypisch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist. Hier werden gute Formate ja gerne mal in der Mediathek oder im Nachtprogramm versteckt. Schön, dass es auch anders geht.
Liebe auf den zweiten Blick
ALL YOU NEED war für mich ein bißchen Liebe auf den zweiten Blick. Als jemand, der nicht Teil dieser Community ist, kann ich schwer beurteilen, welche Figuren überzeichnet dargestellt sind. Häufig habe ich mir ungewöhnliche Eigenheiten oder Wortlaute der Figuren mit dem Handlungsort erklärt: Ist halt Berlin. Da ist das vielleicht so. 😉 Schaut man aber hinter die in vereinzelten Szenen doch etwas hölzern vorgetragenen Dialoge, entdeckt man dann doch spannende Charaktere. In irgendeiner Kritik zu der Serie habe ich gelesen, dass der Kritiker empfahl die erste Folge auszulassen, da sie zu klischeebehaftet sei. Und ja, auch ich musste erst ein bißchen in die Serie reinfinden, die aber durchaus ihre Momente und starke One-Liner hat. Als Levos Vater erzählt, er habe sich gefragt, wer in der Beziehung „der Mann“ oder „die Frau“ sei und Tom antwortet: „Fragen Sie sich auch, wer das Messer und die Gabel ist, wenn Sie mit Stäbchen essen?“, da konnte ich nicht anders als lautstark vor meinem Fernseher zu applaudieren.
Binge-Material
Mit seinen 25 Minuten pro Episode lässt sich ALL YOU NEED gut hintereinander wegschauen. Obwohl die Zeit relativ kurz bemessen ist, gelingt es der Autor und Regisseur Benjamin Gutsche auch noch „Nebenschauplätze“ wie Alltagsrassismus und Diskriminierung auf Basis der sexuellen Orientierung anzuschneiden. Diese Momente sind tatsächlich unheimlich stark. Ich habe mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass die ARD bereits eine zweite Staffel bestellt hat. Das ist dahingehend ungewöhnlich, weil sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Regel sehr viel Zeit für neue Staffeln innovativer Stoffe lässt. Aber die Abrufzahlen der Mediathek haben wohl für sich gesprochen.
7.5/10
ALL YOU NEED ist kostenlos in der ARD Mediathek abrufbar.
Habe ich genauso empfunden. Sehr kurzweilig, längst überfällig, bitte gern mehr, aber irgendwie seltsam gestelzte Dialoge. Und ich dachte schon, dass das nur mir so geht. 🙂